: Staatsanwälte im Container
Überfüllte Knäste, verrottete Gerichte, fehlende Rechner: Auf den neuen Senator wartet ein verwahrlostes Ressort
So stiefmütterlich wie die Justiz ist in den vergangenen Jahren kein Senatsressort behandelt worden. Von den Gefängnissen über die Gerichte bis zur Staatsanwaltschaft – überall türmen sich die Probleme. Dafür nur den früheren Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU) verantwortlich zu machen, dem das Ressort nach den den letzten Wahlen Ende 1999 zugeschlagen worden war, wäre zu einfach. Diepgen hat die Justiz in den 18 Monaten bis zum Regierungswechsel zwar sträflich vernachlässigt – aber mehr kaputtmachen, als in den zehn Jahren davor von SPD-Justizsenatoren versäumt worden ist, konnte er nun auch wieder nicht.
Mit der Wiederherstellung der Justiz als eigenständiges Ressort hat der rot-grüne Senat im Sommer ein wichtiges Zeichen gesetzt, das von Richtern, Staats- und Rechtsanwälten mit großer Erleichterung zur Kenntnis genommen worden ist. Mit Wolfgang Wieland steht erstmals ein Grüner an der Spitze des Hauses. Der hat in der kurzen Zeit der Übergangsregierung zwar keine grundlegenden Dinge bewegt, aber eine Analyse der Missstände vorgenommen und aufgezeigt, in welche Richtung der Zug nach den Wahlen gehen muss.
Das drückendste Problem ist die Überbelegung der Haftanstalt Tegel, in der rund 1.700 Gefangene einsitzen. Verschärfend kommt hinzu, dass große Teile des 100 Jahre alten Backsteinbau-Ensembles in so einem schlechten Zustand sind, dass kaum noch von einem westeuropäischen Haftstandard gesprochen werden kann. Die Unzufriedenheit der Gefangenen gipfelte im Sommer in einem mehrwöchigen Hungerstreik. Der neue Senat muss entscheiden, ob Tegel saniert, ausgebaut oder im brandenburgischen Großbeeren ein neues Männergefängnis errichtet wird. Wieland votiert für die Tegeler Variante.
Zu den ungelösten Problemen gehört auch die Überlastung der Gerichte. Berlin liegt bei den Terminrückständen im Ländervergleich an der Spitze. Bei großen Wirtschaftsverfahren vergehen bis zum Prozessbeginn Jahre. Die Justiz verfügt kaum über Computer, bis die Akten von einem Gebäudeteil in den anderen verfrachtet worden sind, vergehen Tage. Die Gerichtsgebäude sind verrottet, die Raumnot ist so groß, dass Teile der Staatsanwaltschaft seit zehn Jahren in Containern sitzen. Auch der Generalstaatsanwalt am Landgericht, Hansjürgen Karge, der als große Null gilt, muss dringend auf einem anderen Arbeitsplatz entsorgt werden.
Für den Fall, dass er Justizsenator bleibt – alles sieht danach aus –, will Wieland ein Programm von 100 Millionen Mark für moderne Bürotechnik sowie eine interne Verwaltungsreform durchsetzen. Das Zeugnis, das dem Grünen nach der kurzen Amtszeit ausgestellt wird, kann sich sehen lassen. „Kompetent, menschlich, packt an“, heißt es aus seiner Verwaltung. Auch die Strafverteidiger-Vereinigung hofft, dass er bleibt. In Zeiten wie diesen brauche es einen wie Wieland, der in der Lage sei, auf der Justizministerkonferenz den erforderlichen Widerstand gegen die Anti-Terror-Gesetzesvorhaben des Bundesinnenministers aufzubringen. PLUTONIA PLARRE
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen