: Neues vom Hochsitz
■ Gerüstmonster: Die Literaturzeitschrift “Krachkultur“ präsentiert ihre neunte Ausgabe
„Und manchmal, wenn ich noch nicht ganz fertig bin, meine Ansichten zu einem Thema zu äußern, und sie, gestört durch meine etwas schwerfällige Ausdrucksweise, diese für mich zu Ende führt, aber auf eine etwas andere Art, als ich es mir gedacht hatte, was sie plötzlich bemerkt, so korrigiert sie sich schnell und ist sofort bereit, sich selbst zu widersprechen, bis ich ihr zustimme.“ Schreibt in seinem poetologischen Text „Was ich gesehen habe“ Emmanuel Bove, einst unglücklicher Außenseiter der französischen Literatur. Der Text eröffnet die aktuelle Ausgabe der Bremer Literaturzeitschrift “Krachkultur“.
Ein Foto Boves ziert das Cover der Zeitschrift: Das Haar streng gescheitelt, trägt er darauf Anzug und Mantel. Zuvor waren Ernst Jünger und Matthias Baader Holst auf dem Titel zu sehen. Tatsächlich sei mit Außenseitern, mit der Möglichkeit ihrer (Wieder-)Entdeckung, ein besonderer Reiz verbunden, sagt Martin Brinkmann, neben Fabian Reimann Herausgeber der Zeitschrift. Archäologen der Literatur, suchen die beiden Mittzwanziger nach unveröffentlichten Texten, beteiligen sich an ästhetischen Ausgrabungen.
Schon durch die Wahl der Texte mutet ihr Projekt in moderater Weise abgedreht an, wenngleich das Erscheinungsbild der Zeitschrift kaum etwas mit Underground zu tun hat. „Ganz wichtig: Wir versuchen nichts zu repräsentieren. Wir erstellen in „Krachkultur“ keine Anthologien. Ein scheinbar objektiver Überblick über Gegenwartsliteratur interessiert uns hier nicht“, schmunzelt Brinkmann ins Bierglas.
Brinkmann, der jüngst mit dem Roman „Heute gehen alle spazieren“ debutierte und derzeit an einer Anthologie mit dem Titel „Zwanzig unter dreißig“ arbeitet, liebt, so scheint es, Dichterklischees. Und er mag ein gesundes Maß an Provokation: angry young man. Streng genommen repräsentieren die zwei natürlich doch etwas: ihren eigenen Geschmack. Und den teilen sie schon sehr lange, seit bald fünfzehn Jahren. Zufall ist das wohl nicht. Reimann und Brinkmann gingen gemeinsam zur Schule, begannen danach beide das Studium der Literatur in Bremen. Und im zweikehligen Kanon beklagen sie sich über einen Mangel an Qualität, auch unter Studierenden.
Behutsamkeit bei der Frage nach dem Elitären ihres Habitus und ihrer arbeitstechnischen Herangehensweise kann man sich also getrost schenken. “Klar, wir sitzen auf einem Hochsitz, schauen, was so geschrieben wird und wählen das aus, was wir für gut befinden.“ In diesem Heft trägt „das Gute“ den Namen des Robert L. Stevenson, der die poetologische Öffnung Boves mit seinen intelligenten “Anmerkungen zum Realismus“ beschließt. Ferner präsentiert die aktuelle „Krachkultur“ Texte medial der äußerst präsenten Autoren Peter Stamm und Fréderic Beigber („39,90“) sowie solche von noch zu entdeckenden Schriftstellern. Etwa der spröde und doch humorvolle Amerika-Text des 1978 in Bosnien geborenen Sasa Stanisicn.
Vielfältig, doch rund. Nicht der schlechteste Eindruck, den man hinterlassen kann. Der Erfolg einer Literaturzeitschrift messe sich nicht so sehr in ihren Verkaufszahlen, meint Brinkmann. Den Literaturbetrieb, und nicht nur den der Stadt Bremen, bezeichnet er allerdings als „desaströs“. „Das Heft ist erst einige Wochen raus und wir haben bereits drei AutorInnen in unterschiedlichen Verlagen unterbringen können“, freut er sich. Teil eines Netzwerks zu sein, Kontakte zu knüpfen, die auch „Krachkultur“ in Zukunft helfen, schöne und vielleicht wichtige Texte zu bekommen. Darum gehe es.
Kurz darauf parodiert Brinkmann, gleichsam zu Illustrationszwecken, ein Telefonat mit dem Lyric-Maniac Thomas Kling, dem er ein vergleichsweise geerdetes Gedicht habe aus dem Kreuz leiern können. „neanderthaler, zum letzten, / schaut durch sein sprachrohr.“ Das erinnert eher an Klings vielstimmige Texte aus den 80ern, erinnert sich Brinkmann, „Auch der ist schließlich so ein Gerüstmonster, liebt Strukturen so sehr, dass er sich mitunter darin verliert.“ Diesen architektonischen Fanatismus teilt der rheinländische Dichter mit Reimann und Brinkmann. Und gewiss ist es kein Zufall, dass dessen Gedicht die Mitte des gut 120 Seiten dicken Heftes bildet.
Ob Lehrer etwas damit anfangen können? Ob überhaupt welche da sein werden, wenn das Duo Reimann/Brinkmann gemeinsam mit dem Autor Wolfgang Schömel sowie dem Übersetzer Daniel Dubbe „Krachkultur“ im Ambiente zum Besten geben? Wir werden sehen. Tim Schomacker
Die Präsentation der neuen Krachkultur findet heuteum 20 Uhr im Ambiente, Osterdeich 69a, statt
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