: Katrin, wir können verkabeln
■ Amateurfußball, Spielerträume, Menschenhandel: Radio Bremen hat einen neuen „Tatort“ gedreht. „Freistoß“ soll pünktlich zur Fußball-Weltmeisterschaft in Japan und Südkorea im Sommer 2002 laufen
Ein Hafenbecken im Bremer Westen. Über öligem Wasser der Schornstein eines Großkraftwerks, alte Speichergebäude, Kräne, ein einsames Schiff. Natürlich weht ein kalter Wind zwischen den vielen Containern, die man an Land übereinander gestapelt hat, und, natürlich, es ist ein Kriminalfilm, der dieses pittoreske Industrieidyll als Kulisse nutzt: Anfang der Woche gingen nach gut einem Monat die Dreharbeiten für den neuen Bremen-Tatort „Freistoß“ zu Ende, der mittlerweile dritten Produktion, mit der sich Radio Bremen nach mehrjähriger Auszeit wieder als öffentlich-rechtliche Krimi-Schmiede zu etablieren versucht.
Die Container-Wohnanlage am Rand des Hafenbeckens ist „Motiv 2“ an diesem Vormittag. Zwei schwarze Jungs, die auf ihren Auftritt als Komparsen warten, hocken auf einer Treppe und reden über Fußball, was sonst. Irgendwer ruft, „Katrin, wir können verkabeln“, und die Szenenbildnerin klagt leise, dass einige der Mietcontainer, die extra an den Drehort befördert wurden, knatschblau sind.
Das stört ihr Farbkonzept empfindlich, wo doch alles angemessen trist – also beige – sein soll. Schließlich markieren die mit jeder Menge Trödel ausstaffierten Blechkästen ein Asylantenheim! Als dessen „Bewohner“ für 100 Mark Tagesgage Position bezogen haben, kann Regisseur Ciro Cappellari endlich sein „Probe ... bitte!“ sagen.
Das ist der Auftritt für Inga Lürsen (Sabine Postel), die vor Ort einen zwielichtigen Spielberater zu verhören hat. Denn genau darum geht es in „Freistoß“ (Buch: Britta Stöckle): Um Fußball. Davon hat die Hauptkomissarin zwar nach eigenem Bekunden nicht die mindeste Ahnung (der Autor übrigens auch nicht), aber ein wenig Distanz zum Untersuchungsobjekt kann nie schaden. Immerhin stoßen Inga Lürsen und ihr Kollege Stedefreund (Neuzugang: Oliver Mommsen, der als früherer Neurochirurg aus „Dr. Stefan Frank: Der Arzt, dem die Frauen vertrauen“ ins Kriminalfach gewechselt ist) nach Angaben von Radio Bremen auf ein „kriminelles Wespennest“ bei den hansestädtischen Kickern.
Der Amateurligaverein FC Bremen, der selbstverständlich nichts mit dem braven Bundesligisten Werder Bremen zu tun hat, ist nämlich gerade im Aufstieg begriffen, als der abgehalfterte, unbequeme Trainer umgebracht wird. Ja, und dann kommt es ganz dicke: Nicht nur die afrikanischen Spieler, die nach Deutschland geschleust und mit mehr als fragwürdigen Verträgen an den Verein gekettet wurden, haben ein Tatmotiv, sondern auch ein schwuler Jungprofi, der ein mögliches Outing als Gefahr für seine eben erblühende Karriere sieht. Für den argentinischen Regisseur („Ich bin mit Fußball aufgewachsen“) und Tatort-Erstling Cappellari ein praller Stoff: In der vierten, also der „Oberliga“, hätten sehr junge Spieler oft noch sehr große Träume vom Aufstieg – wodurch sie besonders leicht auszubeuten seien. „Es geht um moderne Sklaverei“, sekundiert die Radio-Bremen-Pressestelle.
Das kann Inga Lürsen, die bereits erfolgreich „Apokalyptische Reiter“ durch die schmucke Bremer Böttchergasse jagte und als „engagierte, zupackende, spontane Frau mit Zivilcourage“ gilt, nun wirklich nicht gefallen. Und deswegen sind wir alle sicher, dass sie auch in ihrem siebten Fall den profitgierigen Bösewicht am Ende zur Strecke bringen wird. Auf dem Weg dahin hat sie sogar im kleinstädtischen Verdener Fußballstadion nahe Bremen Dienst geschoben, wo zusätzlich auch noch 1.500 Komparsen, fußballernde Schauspieler (schauspielernde Fußballer?) und ein echter Werder-Profi im Einsatz waren. Zu erwähnen wäre auch noch, dass die Hauptfigur mit dem dezenten Glaubwürdigkeitsproblem – die Ärztegattin nähme man ihr eher ab als die Szeneviertelbewohnerin – endlich einmal keinen Stress mit ihrer Filmtochter Helen haben wird: Die wird bereits im nächsten Bremen-Tatort „Eine unscheinbare Frau“ im November als Au-pair-Mädchen auf große Reise gehen. Arme Mama!
Am vorletzten Drehtag jedenfalls ging es Schauspielerin Postel richtig gut, nachdem sie im – vom Bremer Nahverkehrsunternehmen angemieteten – Schmink-Omnibus von den Einschaltquoten des durchaus mittelmäßigen Bremen-Tatorts „Kalte Wut“ vom vergangenen Sonntag gehört hatte. 33 Prozent Marktanteil! Das soll uns erst einmal einer nachmachen! Dass der Zwergen-Sender Radio Bremen nach zwei Jahren – finanznotbedingter – Krimiabstinenz wieder drehen kann, ist dem Umstand zu verdanken, dass die ARD-Tochter DEGETO einmal im Jahr die Produktionskosten übernimmt – im aktuellen Fall schätzungsweise über 2,5 Millionen Mark. Für den anderen der zwei jährlichen 90-Minüter zahlt die reiche Tante aus Köln: der WDR. Ob es den Bremern gelingt, mit Hilfe dieser Soli-Beiträge gute, spannende „Tatorte“ mit eigenem Profil zu liefern, kann das Fernsehvolk frühestens im nächsten Mai überprüfen, wenn „Freistoß“ voraussichtlich ausgestrahlt wird. Spätestens jedoch zur Fußballweltmeisterschaft. Milko Haase
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