montagsmaler Die geschenkte Stunde am Wochenende: Schönheit durch Überschuss
Am Montagmorgen heißt es, einen Fuß in die vierundvierzigste Kalenderwoche zu setzen, zur einen Hälfte überrascht, zur anderen Hälfte reuig. Die Überraschung gilt der gleichgültigen Kontinuität, mit der Werktage auf Wochenenden folgen. Und die Reue gilt dem fragwürdigem Versuch, mit aller Gewalt einen Unterschied machen zu wollen, als hätte man es nicht besser gewußt. Denn eine Woche besteht aus sieben Tagen, nicht aus fünf plus zwei, sage ich, von der Euphorie des Faktischen überrundet.
Gestern noch war ich selbstverständlich anderer Ansicht. Dafür gibt es mich heute nur noch als Puzzle, in dem einige Teile fehlen, und ich muss mich mühselig zusammenlesen und mir etwas anziehen. Als wäre ich auf der Bahn der Verlorenheit hinabgesaust und säße nun mit ausgestreckten Beinen im gekieselten Auffangbecken, im Montags-Sandkasten am Ende der Rutsche. Nur gut, dass das Wetter genauso trübe ist wie ich und keine Sensationen mehr kennt, denke ich beim Blick aus dem Fenster und melde mich krank.
Die vorletzte Nacht ist eine Stunde länger gewesen. Eine Stunde Überschuss, in der ich tun würde, was nicht zu mir passt, hatte ich gedacht. Es würde mir nicht angerechnet. Dieser Gedanke kam, als es zum zweiten Mal kurz nach zwei wurde und ich von oben in die ehemalige Schalterhalle der Staatsbank hinunterschaute, wo Menschen standen und tranken, auch ich ein Glas in der Hand. Schön war es, sich einige Stunden zuvor am Kranzler Eck durch die lange Nacht des Shoppings treiben zu lassen, wo wir arglosen, übernächtigten Verkäufern unser Interesse für das Zinnschmiedehandwerk vorheuchelten. Am Ende kauften wir einen geilen Rock und ein Kilo Hähnchenbeinchen, die wir später auf der Chausseestraße an einer Bushaltestelle deponierten.
Schön war es auch um kurz vor elf beim Thai-Takeaway „Schmeckt und Billig“ auf der Brunnenstraße, umgeben von Gästen, die beinahe genauso betrunken waren wie wir, eine Kleinigkeit zu essen. Wie der gut gelaunte Koch mit vollen Händen Gemüse in den Wok häufte und sich darüber freute, dass wir uns alle ausnahmlos für Nummer siebzehn entschieden hatten . . . Ausgelassenheit breitete sich aus und wir standen mitten darin.
Schöner noch war es, als wir, aus allen Richtungen von Autos umfahren, auf dem Alexanderplatz auf einer Verkehrsinsel standen, um die Lichtspiele zu betrachten, die über die Fassade des Haus des Lehrers huschten und aus mitgebrachten Flaschen weitertranken. Es hatte aufgehört zu regnen, der Asphalt atmete Nebel und die Temperaturen begannen wieder zu steigen. Am schönsten war es, als ich sah, wie seine Augen dunkel wurden und der Himmel die Farbe wechselte. Von dort aus brachte uns ein Taxi überallhin. Die Fahrräder traten wir vorher in ein Gebüsch, damit sie sicher sein sollten, damit es so aussehen sollte, als seien sie schon gestohlen, und es nicht noch würden möglicherweise. Das war sehr weise von uns. Als wir nach einigen Umwegen am Gendarmenmarkt ankamen, war die Bonusstunde bereits angebrochen und es galten andere Regeln. Voller Absicht verloren wir die anderen im Gebäude und kurz darauf an eine Säule gelehnt auch unsere Zurückhaltung.
Der Sonntag war dann nur noch eine Frist, an deren Ende der Montag stehen würde. Alles war wie im Schlaf gesprochen und für die wenigen Stunden, die es noch gab, lohnte es sich nicht, das Bewusstsein wiederzuerlangen. Gleichwohl schwappte die Reue an mir hoch wie eine Flüssigkeit und ich musste trotz Abstinenz und Aspirin alle verbrachten Stunden doppelt zurückzahlen. Dieses Jahr hat noch neun Wochen plus einen Montag, der Silvester heißt. Ich muss mein Fahrrad holen gehen.
MONIKA RINCK
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