porträt:
Cigdem E.,
22, Studentin, in Deutschland geboren. Cigdem E. ist schon als Kind täglich in die Moschee gegangen. Nach dem Kindergarten, später nach der Schule wurden dort die Kinder betreut, bis die Eltern von der Arbeit kamen. Cigdem konnte den Koran auswendig, bevor sie lesen und schreiben lernte. Welcher Richtung des Islam die dem Wohnort der Familie nächstgelegene Moschee angehörte, das interessierte ihre Eltern nicht. So geriet Cigdem schon als Kind in Gewissensnöte: Ihre Mutter, die damals nicht das vorschriftsmäßige Kopftuch trug, kam ja nach Aussagen ihrer Lehrer in die Hölle! Tagelang hat sie damals mit ihrer Mutter nicht gesprochen. In der Pubertät, „als ich nachzudenken begann“, meint Cigdem, begann eine richtige Glaubenskrise. Für sie, die Abitur machen und studieren wollte, war nach Meinung der Imame eine ganz andere Karriere vorgesehen: möglichst bald heiraten, Kinder kriegen, eine gehorsame Ehefrau sein.
Bevor sie aber ganz mit ihrer Religion brach, entdeckte Cigdem eine andere Gruppe von Muslimen: In den Moscheen und Schulen des VIKZ, des Verbands der Islamischen Kulturzentren, unterrichteten junge Musliminnen ihre Glaubensschwestern, die zur Uni gingen und die jüngeren Mädchen darin bestärkten, den gleichen Weg einzuschlagen.
Cigdem E. studiert seit zwei Jahren und hat gerade ihre erste eigene Wohnung bezogen. Über den VIKZ, der sie damals aus der Krise rettete, hat sie mittlerweile einiges erfahren, was ihr auch diese Organisation in einem anderen Licht erscheinen lässt. In einem Spiegel-Artikel von 1979 werden Schriften dieser Gruppe zitiert, die ganz eindeutig die Absicht der Errichtung eines islamischen Staates erkennen lassen. „Vielleicht haben sie sich in den letzten Jahren geändert. Aber vielleicht täuschen sie die Leute auch.“ Cigdem weiß, dass manche Verbände unter den jungen Muslimen einige auswählen, die im inneren Kreis der Eingeweihten fortgebildet und denen dann irgendwann die geheimen, wahren Absichten der Organisation offenbart werden, die den einfachen Gläubigen, die zum Beten in die Moscheen kommen, verborgen bleiben.
Cigdem hält sich da raus, obwohl es sie schon interessieren würde, zu erfahren, was beispielsweise Milli Görüs lehrt in solchen Kursen, in die nur einige Auserwählte nach vorherigen Tests aufgenommen werden. Sie selbst besucht heute verschiedene Moscheen. Einer Organisation gehört sie nicht an. Bei wichtigen Entscheidungen verlässt sie sich auf ihr Gewissen und auf den Rat ihrer Freundinnen: einer Deutschen jüdisch-polnischer Abstammung und zweier Türkinnen – eine ist Sunnitin, eine Alevitin.
ALKE WIRTH
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