Der Kreis wird kleiner: Tony Blair in der Identitätskrise
aus Dublin RALF SOTSCHECK
Das „Collins English Dictionary“ definiert Europa als „den Kontinent von Europa, außer den Britischen Inseln“. Doch Großbritannien ist nicht länger eine Insel, und das nicht nur wegen des Kanaltunnels nach Frankreich. Die Briten stecken in einer Identitätskrise. Einerseits ist Blair proeuropäischer als seine Vorgänger; er würde gern eine führende Rolle in der EU spielen, wenn ihn das Volk nur ließe. Andererseits stimmt er in einem wichtigen Punkt mit der Expremierministerin Margaret Thatcher überein: Beide seien „fasziniert von der US-Politik und von US-Lösungen“, meint Timothy Garton-Ash vom St. Anthony’s College in Oxford. Die USA hatten jedenfalls den größten Einfluss auf die britische Politik der vergangenen zwanzig Jahre.
Bisher musste keine britische Regierung zwischen den USA und Europa wählen. Man hat sich stets als Vermittler dargestellt. Das geht auf die Dauer nicht, das haben nicht zuletzt US-Präsident George W. Bushs Pläne für ein neues Raketenabwehrsystem gezeigt, für das die Washingtoner Regierung nicht nur Blairs Unterstützung einforderte, sondern auch ihre Radar- und Frühwarnsysteme in Britannien modernisieren will. Blair weiß, dass die traditionell engen Verbindungen zwischen beiden Ländern schwer aufrechtzuerhalten sind, je enger die EU auf wirtschaftlichem, militärischem und politischem Gebiet zusammenwächst.
Blairs Idee von einer britischen Vorreiterrolle in der EU wird aber nicht nur im eigenen Land, sondern auch im Ausland misstrauisch beobachtet. Der französische Europaminister Pierre Moscovici sagte Anfang des Jahres, der britischen Regierung sei nicht über den Weg zu trauen, weil sie nur eine „sehr begrenzte Vorstellung von der Konstruktion Europas“ habe. Der 11. September hat bei der außenpolitischen Orientierung vorerst den Druck von Blair genommen. Er kann sich auf seine Rolle als Vermittler zwischen den USA und Europa konzentrieren. Daher lud er zum Gipfel nach London.
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