piwik no script img

IM LA-BELLE-PROZESS WURDE GADDAFI VERURTEILTStaatsterrorismus ohne Folgen

Eine „erhebliche Mitverantwortung“ bescheinigte gestern der Richter Libyen für den Anschlag auf die Berliner Diskothek „La Belle“ vor mehr als 15 Jahren. Die damals getöteten und verletzten Menschen sind also Opfer von Staatsterrorismus – ebenso wie die 1992 im Berliner Restaurant „Mykonos“ im Auftrag der iranischen Staatsführung niedergemetzelten vier oppositionellen iranischen Kurden. Zwischen beiden Fällen bestehen erhebliche Parallelen. Die entscheidende dürfte sein, dass beide Urteile keine langfristigen Folgen haben.

Beide Male saßen auf der Anklagebank nicht nur die direkt beteiligten Geheimdienstler und ihre Handlanger, sondern, wenn auch nur virtuell, ihre Auftraggeber: die politischen Führungen Irans und Libyens. In beiden Fällen verurteilten die Richter, wenn auch in Abwesenheit, eine Staatsführung. Im Mykonos-Prozess waren das Irans religiöse Führer Ali Chamenei, der damalige Präsident Ali Akbar Haschemi Rafsandschani und etliche Minister. Gestern traf das Urteil de facto Libyens Revolutionsführer Muammar al-Gaddafi.

In beiden Verfahren widersprachen die Urteile den vitalen politischen und vor allem wirtschaftlichen Interessen Deutschlands: Importe, Exporte, Öl und Maschinen. Doch ein Blick auf die Folgen des Mykonos-Urteils sollte zumindest Handel Treibende beruhigen. Natürlich zürnte Irans Staatsführung anschließend den Deutschen. Doch der Zorn der geschäftstüchtigen Turbanträger währte nur wenige Monate. Inzwischen ist Deutschland wieder Irans Handelspartner Nummer eins und die Shakehands zwischen Politikern beider Staaten sind häufiger und zärtlicher denn je zuvor. Denn Mykonos – das ist doch lange her.

Der Fall zeigt, wo die Grenzen von auch noch so engagierten Richtern liegen: bei der Verkündung des Urteils. Lautet es auf Staatsterrorismus, können nur Politiker daraus Konsequenzen ziehen. Doch wenn diese nicht erwünscht sind, weil sie etwa angeblich den deutschen Interessen widersprechen, dann verstaubt auch das beste und gerechteste Urteil irgendwann, irgendwo in einer Asservatenkammer. THOMAS DREGER

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen