Die Abweichler wollen sich nicht erpressen lassen

Die Kriegsgegner in der Grünen-Fraktion stehen unter Druck. Selbst die veränderte Lage im Afghanistankrieg bringt sie von ihrer Haltung nicht ab

BERLIN taz ■ Sylvia Voß ist, was man gemeinhin Hinterbänklerin nennt. Ihre letzte Rede im Bundestag hielt sie am 9. Juni 2000, Thema „Naturschutz“ – festgehalten im Plenarprotokoll unter der Nummer 14/0109. Jetzt steht die Bundesdrucksache 14/07296 an: Bundeswehreinsatz in Afghanistan. Plötzlich ist die Grünen-Abgeordnete Voß eine der gefragtesten Personen. Sie ist eine von acht AbweichlerInnen, die per Positionspapier (taz vom Montag) öffentlich ihr „Nein“ angekündigt haben. Sie bleibe bei ihrer Position, erklärte Voß gestern der taz, trotz der neuesten Entwicklung in Afghanistan.

Damit bereitet sie ihrer Parteispitze gehörig Bauchschmerzen – und das bekommt wiederum sie zu spüren. „In jeder Sitzung“ taucht das Thema Bundeswehreinsatz auf, sie werde sogar „namentlich angesprochen“, noch einmal zu bedenken, was ihre Entscheidung „für das Gesamtprojekt Rot-Grün“ bedeute. „Der Druck ist schon sehr groß.“

Nachdem Bundeskanzler Gerhard Schröder gestern durchsickern ließ, er wolle die Afghanistan-Entscheidung mit der Vertrauensfrage verbinden, erhöhte sich der Druck noch einmal auf alle „Abweichler“. Es sah danach aus, dass sie standhaft bleiben werden. Es hieß sogar, die Zahl der „Abweichler“ hat sich auf 16 erhöht – schon „aus Trotz“. Allerdings wurde auch gemunkelt, dass sich Steffi Lemke, eine der acht „Fahnenflüchtigen“, durch das Schröder-Ultimatum sehr verunsichern lassen habe.

„Ich knete niemanden – ich setze auf die Kraft der Argumente“, hatte Grünen-Fraktionschef Rezzo Schlauch vorige Woche noch angekündigt. Darüber kann Voß nur lachen: „Natürlich wird geknetet.“ Manchal auch indirekt. Im Plenum wird demnächst das Naturschutzgesetz eingebracht. Voß ist dafür mitverantwortlich. Jetzt werde ihr gesagt, sie mindere dessen Chancen auf Erfolg, wenn sie gegen den Bundeswehreinsatz stimme. „Dann bist du verantwortlich“, hätte sie schon gehört.

„Wir lassen uns nicht zu einem Ja erpressen“, adjutiert auch Kriegsgegner Winfried Hermann. Drohender Bruch der Koalition, Vertrauensfrage von Kanzler Schröder: „Das Erpressungsszenario, um uns umzubiegen, ist eine unangemessene Methode“, findet der Grünen-Abgeordnete aus Baden-Württemberg. Nach wie vor stehe er zu dem Positionspapier, nach wie vor treffe die grundsätzliche Analyse zu, dass Krieg in Afghanistan ein ungeeignetes Mittel gegen den Terrorismus sei. Hermann sagt, in Deutschland habe sich eine „parlamentarische Unkultur“ herausgebildet. Hermann wird drastisch: „Das, was wir an Kohl kritisiert haben, findet mittlerweile auch bei SPD und Grünen statt.“

Auch Monika Knoche, Gesundheits- und Ethikexpertin der Fraktion, wollte gestern nicht von ihrer Meinung abweichen. Die Lage in Kabul sei „nach wie vor hoch problematisch“. Die im gemeinsamen Papier dargelegten Gründe gegen einen Bundeswehreinsatz behielten somit ihre Gültigkeit: „Ich habe keine Ad-hoc-Entscheidung gefällt.“

Das wäre auch nicht ihre Art. Knoche sitzt seit 1994 im Bundestag und gehört nicht zum ersten Mal einer Minderheit bei den Grünen an. „Mit dem Verdikt ‚Abweichlerinnen‘ versucht der Realoflügel seit jeher, Schuld und Sühne auf den Schultern der Minderheit abzuladen“, sagt sie. Ein beliebtes Mittel der Marginalisierung, so Knoche, „ist die Disqualifizierung einer Haltung als ‚unbedeutende Einzelmeinung‘, Verwendung des Begriffs ‚Hinterbänkler‘, Schneiden, Nicht-Nennen in der Öffentlichkeit“ – mit dem Ziel, die „persönliche und politische Integrität anzukratzen und kritisches Potenzial auszugrenzen“. Schwierig für die eigene Arbeit sei auch die „Nichtbeteiligung an parlamentarischen Vorverfahren“, erklärt Knoche. Die Absprachen, an der die Untreuen nicht beteiligt werden, finden nicht mehr nachts am Kneipentisch statt – „Das macht man über Handy.“

ULRIKE WINKELMANN/
THILO KNOTT