: Nicht panoptisch
Helga Reidemeisters Film „Gotteszell“ porträtiert Frauen im Knast ■ Von Christiane Müller–Lobeck
Was es heißt, eingesperrt zu sein, kann kein Film wirklich anschaulich machen. Aber er kann etwas davon zeigen, wie es ist, dafür im Knast zu sein, dass man sich gewehrt hat oder einfach nur ausgeflippt ist über eine Situation, die unaushaltbar geworden ist.
Die langjährige Dokumentarfilmerin Helga Reidemeister (u.a. Aufrecht gehen – Rudi Dutschke – Spuren) hat mit ihrem Film Gotteszell (2001) gar nicht erst versucht, durch eine übermäßige Inszenierung von Enge das Eingesperrtsein zu bebildern. Auf Zitate aus gängigen Knastfilmen, etwa einen Blick von oben durch das von Treppen, Gängen und Gittern durchtrennte Zentrum des Gebäudes, verzichtet ihre Bildsprache völlig. Und genauso wenig verdoppelt die Kamera den panoptischen Blick, der in einer solchen totalen Institution herrscht.
Dass das ehemalige Kloster Gotteszell, Baden-Württembergs einzige Strafvollzugsanstalt für Frauen, dennoch kein beschaulicher Ort wird, dafür hat Reidemeister durch den Soundtrack Sorge getragen: Mit einer Collage vielfältiger „Störgeräusche“ aus der Umgebung der Trakte hat sie eine bestimmte Atmosphäre der Irritation hergestellt. Bachs Wohltemperiertes Klavier und Marleys I Shot The Sheriff wiederum weisen die Fremdheit und Kühle, die dadurch entsteht, ein gutes Stück zurück.
Denn Reidemeister ging es vor allem um Verständnis. Sechs in Gotteszell einsitzende Frauen hat sie in ihrem Film skizzenhaft porträtiert. Und je länger man ihnen zuhört, desto deutlicher wird, welche jahrelangen Misshandlungen jeweils den Taten, für die sie verurteilt wurden, zugrunde liegen, nicht selten sexueller Missbrauch. Die Dramaturgie von Gotteszell wird meist durch die Darstellerinnen bestimmt: Ihren oft abgebrochenen Sätzen ist es überlassen, wann, was und wie die ZuschauerInnen etwas von ihrem Leben erfahren. Der Film bezieht einen Großteil seiner Spannung daraus, dass man mehr wissen möchte, als preisgegeben wird oder rascher, als die Frauen es erzählen. Und er verweigert damit auch die Produktion eines Wissen, dessen Entstehung Michel Foucault in Überwachen und Strafen nachgezeichnet hat.
Gespräche mit den Frauen des Anstaltspersonals ergänzen die Interviews mit den Gefangenen. Auch hier war Reidemeister daran gelegen, nicht durch Klischees von bösen Schließern das Grauenvolle des Eingeschlossenseins übermäßig zu betonen. Gleichwohl sind das „Wir“ derer mit Schlüssel und das „Ihr“ derer ohne in der Rede der jeweiligen Frauen anwesend. Wichtig war es aber offenbar, die gefangenen Frauen nicht als Opfer der Reglements darzustellen. Zwei der Frauen berichten ausführlich davon, ihr sarkastischer Humor triumphiert dabei über die entmündigenden Maßnahmen.
Konflikte unter den Frauen macht der Film nicht zum Thema. Desozialisierung, wie sie die Institution im Allgemeinen und ein Frauenknast (in der Regel gibt es bloß einen für ein Bundesland) im Besonderen produziert, scheint sich in Gotteszell nur auf Kontakte nach außen zu beziehen. Einzig dies ist dem Film vorzuwerfen: dass er auf eine seltsame Weise Lämmer aus den porträtierten Frauen macht und ihr Zusammenleben etwas zu harmonisch zeichnet.
Premiere: Mo, 19.11., 17 Uhr; weitere Vorführungen: Di, 20.11., 21.15 Uhr, Mi, 21.11., 17 Uhr + Do, 22.11., 21.15 Uhr, Metropolis
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