: Die zwei Welten einer Lobbyistin
Nichtregierungsorganisationen in Brüssel: Wie die 29-jährige Britta Madsen versucht, den EU-Apparat für Menschenrechte in Kolumbien zu interessieren
aus Brüssel DANIELA WEINGÄRTNER
Britta Madsen sieht aus wie eine dieser smarten Nachwuchsjuristinnen, die bei den EU-Verbänden in Brüssel hospitieren: Blond, schlank, korrektes City-Jacket, kühle Erscheinung. Die eine Muschel des Kopfhörers hinters linke Ohr geklemmt, die andere übers rechte Ohr gestülpt, damit sie bei finnischen Abgeordneten oder dänischen Menschenrechtlern die englische Übersetzung mithören kann. Seit über einer Stunde spricht der Vertreter des spanischen Außenministeriums. Er legt der wöchentlich tagenden Kontaktgruppe von Europaparlamentariern und Vertretern von Nichtregierungsorganisationen (NGO) dar, wie die spanische Präsidentschaft der EU im kommenden Halbjahr die Menschenrechte zu verteidigen gedenkt. Es sind Floskeln, schöne Worte, niemand unter den rund 50 Männern und Frauen in dem kleinen Saal hört sie zum ersten Mal. Zwei Fensterputzer, die draußen auf einem Gestell vor der Scheibe baumeln, sorgen für etwas Abwechslung.
Junge Frauen wie Britta Madsen arbeiten in Brüssel 16 Stunden am Tag für ein Taschengeld, weil sich EU-Erfahrung gut im Lebenslauf macht. Wechseln sie den Arbeitgeber, legen sie seine Corporate Identity ab wie einen alten Mantel und schlüpfen in die nächste. Das ist bei der 29-jährigen Madsen anders. Sie arbeitet nicht für ein Taschengeld, sondern für ein mittleres Gehalt als „Lobby Officer“ der internationalen Organisation Oficina Internacional de Derechos Humanos, Acción Colombia.
Es ist erst ein Jahr her, da war das Logo der Peace Brigades International auf ihrem T-Shirt nicht das Zeichen irgendeiner Corporate Identity, sondern eine Überlebensversicherung. Nach ihrem Politikstudium lebte die Deutsche drei Jahre in Kolumbien als Mitarbeiterin der Friedensbrigaden, im ersten Jahr als internationale Beobachterin, danach als Koordinatorin der freiwilligen Helfer.
Man versucht also, sich die kühl und geschäftsmäßig auftretende junge Frau an ihrem alten Arbeitsplatz vorzustellen, vielleicht in der Morgendämmerung in einem Dschungelgebiet. Mit einem Indiokind an der Hand rennt sie vom Dorf weg, in der Ferne feuern Paramilitärs ihre Magazine leer. „Wenn man die Leute in den Wald hinausbegleitet, hat man schon Angst“, sagt sie gelassen. Die Peace Brigades seien aber eine Profiorganisation. Die Sicherheit der Mitarbeiter stehe an oberster Stelle – kein einziger internationaler Beobachter sei bislang in einem der Einsatzgebiete in Mexiko, Kolumbien und Osttimor ums Leben gekommen.
Die Arbeit bei den Friedensbrigaden ist so ungefähr der schärfste Kontrast, den man sich zu einem Brüsseler Bürojob ausdenken kann: Junge Leute aus Europa, Kanada, den USA und Australien leben in Hausgemeinschaften in vier Stützpunkten innerhalb Kolumbiens. Rund um die Uhr stehen sie bereit. Wenn Menschenrechtler um ihr Leben fürchten, in einem sich neutral erklärenden Dorf die Lage sich zuspitzt, Priester oder Vertriebene Hilfe anfordern, rücken sie aus – als lebende Schutzschilde.
Nach drei Jahren Kolumbien kam Britta Madsen nach Brüssel, weil sie körperlich und seelisch ausgelaugt war. „Die Schmerzgrenze war erreicht“, sagt sie. Zu viele kolumbianische Freunde waren ums Leben gekommen oder ins Exil getrieben worden. Sie freute sich darauf, von Brüssel aus die europäische Strategieplanung für das Internationale Menschenrechtsbüro, Aktion Kolumbien zu organisieren. Ihre Stelle finanzieren 35 Organisationen, darunter Oxfam, Caritas und Misereor.
Die Umstellung war ein Kulturschock. „In Bogotá geht die internationale Gemeinschaft viel einfühlsamer mit den Nichtregierungsorganisationen um“, sagt sie. „In Brüssel herrscht die Arroganz der Macht.“ Man müsse monatelang anklopfen, um bei den zuständigen Mitarbeitern im Rat oder der Kommission eine viertel Stunde lang seinen Standpunkt darlegen zu dürfen.
In Kolumbien dagegen habe das diplomatische Corps die Erfahrungen der Menschenrechtler zu schätzen gewusst und in Dossiers und Berichte einfließen lassen. Wenn Britta Madsen auf die Brüsseler Bürokratie zu sprechen kommt, reißt ihr gelassen-höflicher Gesichtsausdruck einen winzigen Moment lang auf und man beginnt die Leidenschaft zu ahnen, die sie nach Nicaragua, Venezuela, Kolumbien und schließlich in dieses freundliche Brüsseler Büro geführt hat. Fest kneift sie die Lippen zusammen, kann das Zucken im Mundwinkel aber nicht kontrollieren. „Wenn man sich mal vorstellt, wie viel Geld die Kommission ausgibt, um die Situation in Kolumbien von Experten bewerten zu lassen. Wie oft haben wir ihnen angeboten, dass wir sie briefen können. Aber sie holen sich die Informationen, die sie kostenlos von uns NGOs haben könnten, lieber von einer teuren Agentur.“
Zwei Mal im Jahr, bei den Reisen zum Verbindungsbüro in Kolumbien, tankt sie neue Energie für die Arbeit in Brüssel. Dann besucht sie zum Beispiel das Indigenenreservat Aponte im kolumbianischen Bundesstaat Narino. Dort realisiert das kolumbianische Friedensnetzwerk Redepaz mit EU-Geldern einen alternativen Entwicklungsplan. Die Bewohner haben sich verpflichtet, die Kokapflanzen von Hand aus der Erde zu reißen und andere Produkte auf dem Land anzubauen, das bislang den Rohstoff für Kokain hervorbrachte.
Doch die USA, die im Rahmen ihres Militärhilfepakets „Plan Kolumbien“ kolumbianische Kokafelder großflächig mit dem chemischen Herbizid Roundup besprühen, scheren sich nicht um die kleinen Alternativprojekte der EU.
In Aponte haben die Kinder von dem Gift Hautausschläge und Durchfall bekommen. Die Fehlgeburtenrate ist sprunghaft gestiegen. „Die Besprühungsaktion ist eben keine bilaterale Angelegenheit zwischen den USA und Kolumbien, sondern eine Verletzung der Menschenrechte“, sagt die Lobbyistin, und das Zucken im Mundwinkel ist wieder da. Seit dem 11. September höre die EU US-kritische Argumente nicht mehr gern: „Man kann die Arbeit seither nur noch als Schadensbegrenzung bezeichnen.“
Britta Madsen ist überzeugt, dass Europa nach den Terroranschlägen die Chance vertan hat, die Politiker in den USA zum Umdenken zu zwingen. Statt kritikloser Solidarität hätte die EU ein Geschäft auf Gegenseitigkeit anbieten sollen: Hilfe im Kampf gegen den Terrorismus gegen Mitsprache bei Projekten wie dem Militärhilfepaket.
Sechs Gouverneure südlicher Provinzen hat sie dieses Jahr nach Brüssel eingeladen, Gespräche mit Vertretern von Kommission und Ministerrat organisiert. Die Politiker haben dargelegt, wie verheerend sich das Herbizid der Firma Monsanto in ihren Provinzen ausgewirkt hat. Auch bei Anhörungen im Parlament und in Briefen an interessierte Abgeordnete hält Britta Madsen das Problem unermüdlich in Erinnerung. Sie tut, was in Brüssel „Tausendfüßlerarbeit“ genannt wird.
Würde man Britta Madsen bitten, eine berufstypische Handbewegung zu machen, griffe sie wahrscheinlich zum Telefon. Oder zur Maustaste. Denn ein Drittel ihrer Arbeitszeit ist sie damit beschäftigt, das Verbindungsbüro in Washington anzurufen, den Kontakt mit der Menschenrechtsplattform in Bogotá zu halten oder Schwesterorganisationen in den Hauptstädten Europas über das Brüsseler Geschehen zu informieren.
Ein weiteres Drittel ihres Bürotages vergeht damit, Informationen zu sammeln und weiterzugeben. Die großen US-Zeitungen, die kolumbianische Tagespresse, europäische Medien – alles wird nach Meldungen über die Lage der Menschenrechte in Kolumbien durchforstet. Denn den Rest der Zeit verbringt sie in fremden Büros: Bei Mitarbeitern der Kommission, in Botschaften, bei Parlamentsanhörungen, ständig auf der Suche nach „Personen mit Entscheidungskapazitäten“, wie sie sagt. Denn geredet wird in Brüssel viel. Etwas zu sagen haben nur wenige.
Gerade für Menschenrechtsorganisationen ist es ein besonders mühsames Geschäft, die Macht- und Kommunikationsstrukturen zu durchschauen. Sie sind so ungeklärt, dass die Mitgliedsstaaten auf dem morgen beginnenden Gipfel in Laeken einen Konvent einsetzen wollen, der über eine Verfassung für die Union nachdenken soll. Doch zunächst einmal bleibt die Kompetenzverteilung zwischen Rat und Kommission unklar. Selbst wenn man den zuständigen Drahtzieher hinter den Kulissen in der EU-Kommission schließlich gefunden und ein Vertrauensverhältnis zu ihm aufgebaut hat, kann man nie sicher sein, ob er tatsächlich Einfluss auf die EU-Außenpolitik hat oder die letzte Kompetenz doch beim Ministerrat und ihrem außenpolitischen Vertreter Javier Solana liegt.
Das Europaparlament hat zwar in der Menschenrechtspolitik hohe Ansprüche, produziert Tonnen von Papier mit Resolutionen gegen Menschenrechtsverletzungen und sendet Wahlbeobachter aus. Es ist aber nach wie vor eher eine Versammlung engagierter Einzelkämpfer als eine funktionierende demokratische Institution.
Bleibt schließlich der Rat als das Gremium, wo die Regierungschefs ihre jeweiligen nationalen Außenpolitiken auf einen Nenner zu bringen versuchen. Dort verhindert die Regel, dass die EU-Ratspräsidentschaft im Halbjahresrhythmus zwischen den Mitgliedsstaaten wechselt, eine kontinuierliche Lobbyarbeit, wie Britta Madsen festgestellt hat. „Eine Präsidentschaft kümmert sich um Südafrika, im zweiten Halbjahr machen wir den Nahen Osten . . .“
Für die spanische Präsidentschaft, die vom 1. Januar bis Ende Juni 2002 dauert, wird Südamerika das große außenpolitische Thema sein. Als ehemaliger Kolonialherr interessiert sich das Land mehr für Mittelamerika als die anderen EU-Regierungen.
Dennoch sind die Menschenrechts-Lobbyisten nicht optimistisch. Die Nähe des spanischen Ministerpräsidenten José María Aznar zur kolumbianischen Regierung und seine Sympathien für das US-Militärhilfe-Programm sind bekannt.
Aber kleine Erfolgserlebnisse gibt es dann gelegentlich doch. Anfang der Woche einigten sich die EU-Außenminister auf folgenden Passus in ihrer Erklärung zum Friedensprozess in Kolumbien: „Die Europäische Union hält es für überaus wichtig, dass die Anstrengungen zur Bekämpfung von Drogenanbau, Drogenproduktion und Drogenhandel fortgesetzt werden, während gleichzeitig die biologische Vielfalt und die Umwelt geschützt werden müssen.“ Es ist also doch nicht alles umsonst gewesen, was Britta Madsen und die anderen Kolumbien-Gruppen in diesem Jahr auf die Beine gestellt haben. Der Satz ist schließlich eine deutliche Kritik an der Drogenbekämpfung auf US-amerikanische Art. Jetzt müsste die EU den mutigen Worten nur noch diplomatische Taten folgen lassen.
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