: Spinoza und der Weihnachtsmann
Der Mensch schenkt gerne und erhält gerne Geschenke. Das macht uns glauben, dass wir doch nicht ganz allein und verlassen sind. Doch es liegt in der Logik des Schenkens, dass damit ein evolutiver Rückschritt verbunden ist. Es gibt nur einen Ausweg: Wir schenken mit vollen Händen . . . nichts
von OLIVER CARLO ERRICHIELLO
Beschenkt werden, das heißt, jemand hat an uns gedacht (vielleicht hat ihn auch nur die Memoryfunktion seines Handys daran erinnert). Anders gesagt, man hat für uns Zeit in einem schlecht klimatisierten Kaufhaus zusammen mit transpirierenden, lauten Teenagern verbracht.
Das Schenken ist also eine der letzten Möglichkeiten in unserem Leben, wahre Nächstenliebe, ja kollektive Ekstase zu erleben. Die Telefonspende am Ende einer TV-Gala zugunsten der SOS-Kinderdörfer in Uganda, moderiert von Carolin Reiber, ist nichts dagegen.
Manchmal werden wir aus Liebe oder Zuneigung beschenkt. Meistens, weil es die Moral so will. Das Schenken durchzieht das Leben wie ein roter Faden. Weihnachten, Geburtstage, Diplomfeiern, Jahrestage. Manchmal freuten wir uns über die Geschenke, die wir erhielten. Meistens nicht: Man denke an all die Kerzenleuchter von Enkeln, Weinbrandflaschen von Omas und Eierbecher von Eltern. Freunde versuchten sich mit den neuesten CDs afrorumänischer Fadosängerinnen, um uns ihre kulturelle Noblesse zu demonstrieren.
Das Geschenk war Botschafter des Idealbildes, das der Schenkende von sich hatte. So gesehen, sprachen Eierbecher Bände. Anthropologisch ist das Schenken ein evolutiver Rückschritt. Der Augenblick, in dem man das Geschenk auspackt, bedingt, dass unser Gesicht zur Maske wird: Starr lächelnd fallen wir dem Schenkenden um den Hals. Liebe explodiert in wogenden Wellen im Polyesterpullover unseres Gegenübers! Wir wiegeln sein vorgeblich selbstkritisches „Ich wusste nicht, ob es dir gefällt“ entschiedenst ab. Natürlich finden wir das Geschenk schrecklich – und natürlich sagen wir das Gegenteil. Schließlich kommt es auf den Willen an. Hoffentlich gibt’s bald etwas zu essen, damit wir die aufs äußerste angestrengten Gesichtszüge entspannen können. Wahrscheinlich ist der Brauch eines gemeinsamen Essens allein darauf zurückzuführen.
Der Mensch leidet nicht gern. Der tierische Rückfall betrübt ihn in Zeiten der Biotechnologie. Wie steht es in der amerikanischen Verfassung: Der Mensch strebt nach Glück. Man ist sich des Dilemmas bewusst und hat für Abhilfe gesorgt: Wir schenken mit vollen Händen nichts.
Ein Spaziergang durch ein Kaufhaus zur Weihnachtszeit: CDs heißen „Best of Rock“ oder „Jazz Legends“; Bücher „Die Großen Maler“, „Das Auto“ oder „Katzen“; Süßigkeiten „Schokoladenauslese“ oder „Pralinenmischung“. Aus eigener Erfahrung wissen wir, dass der Hauptteil aller Geschenke in die Kategorien literarische Machwerke, Musikträger, Milchschokolade fällt.
Der Schenkende durchwandert die mit Plastikäpfeln und Krebs erregend silbernem Lametta behangenen Warenhausabteilungen, und es offenbart sich ihm die absolute Beliebigkeit der Geschenktipps (die Tatsache ihrer expliziten Bewerbung macht klar, dass sie sich tatsächlich überdurchschnittlich verkaufen).
Dahinter steckt folgende Logik: Will man nichts falsch machen, schenkt man entweder alles (was aufgrund der mehr oder weniger beschränkten finanziellen Mittel unmöglich ist), oder aber das Geschenk vereinigt in sich so viel wie möglich. Von jedem etwas. Besonders grandios lösen diesen Anspruch zehnbändige Geschichtsnachschlagewerke, Kunstbildbände im Taschenbuchformat, „Merci“-Schokolade oder klassisches Legospielzeug (leider auf Kinder beschränkt) ein.
An dieser Stelle stellt sich dem narzisstischen Leser allerdings eine Frage: Wenn ein Geschenk möglichst alles ist, dann ist es in der dialektischen Logik nichts. Wie sagte Baruch de Spinoza: „Omnis determinatio est negatio“. Jede Bestimmung ist ein Ausschluss. Übertragen auf Geschenke heißt das: „Wenn ich jemandem ein Geschenk auswähle, dann erhält er alle anderen möglichen Geschenke nicht.“
Und jetzt wird das ganze Ausmaß des Dramas erkennbar. Indem die uns von den Marketingabteilungen der Produzenten und Kaufhäuser anempfohlenen Geschenke möglichst alles sein wollen, werden sie zu materialisiertem Nichts. Sie sind so wie ein Gespräch über das Wetter: schnell vergessen und absolut austauschbar. Das erspart zwar die intensive Anwendung einer Antifaltencreme, die die Wirkungen unserer Verzückungsgrimasse lindert, gleichzeitig stimmt es aber auch ein wenig melancholisch. Als Artefakt erinnert das Geschenkte noch an Zeiten, als man an Inhalte glaubte – und waren es lediglich Eierbecher.
OLIVER CARLO ERRICHIELLO, 28, ist Soziologe, Markentechniker und freier Journalist. Er lebt in Lyon und Hamburg und schreibt derzeit an einem Roman (Arbeitstitel: „Bestellt“), in dem geschildert wird, was passiert, wenn man jahrelang Chinaessen ausfährt
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