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Ein cooles Würstchen

■ Der Prototyp des Sprayers ist männlich und hält sich für toll / Aber wenn der Minderjährige erwischt wird, müssen allzu oft Mama und Papa blechen

Der Sprayer ist Nachtarbeiter. Seine Kluft sind Turnschuhe und dunkles Sweatshirt. Die weite Hose klemmt auf der Hüfte, das Baseball-Käppi auf dem Kopf, sein Werkzeug trägt er im Rucksack. Kurz: Der Graffitimaler kommt meist wie seine eigene Karikatur daher – und das auch noch in Kolonne. Wobei Mitglieder unter einem Meter sechzig Körpermaß nicht selten sind. Gefürchtet werden sie dennoch – für Fleiß und Geltungsbedürfnis. Ihre Gegner lauern folglich überall.

ZeitungsausträgerInnen, HausbesitzerInnen, Polizei und Stadtteilbeiräte sind hinter Sprayern her – und bemerken sie doch viel zu selten. Das geben die insgesamt vorsichtigen Auskünfte von BeamtInnen der Abteilung „Farbvandalismus“ preis. Doch gestern hat Volker Nixdorf, Leiter des Kommissariats West, dem die Abteilung zugeordnet ist, einen „beachtlichen Stapel“ durchgearbeitet. Zehn Akten, in immerhin drei Fällen wurden Täter auf frischer Tat erwischt. Wenn der Polizeibeamte jetzt nicht zufrieden wäre – er müsste dennoch so klingen. Denn die Beamten der Abteilung, die Sonja Wolf leitet, haben sich nicht nur der Ermittlung von Tätern, sondern auch der „präventiven und erzieherischen“ Polizeiarbeit verschrieben.

Die Zielgruppe ist jung. Das Einstiegsalter für Sprayer – von hundert Erwischten sind 13 weiblich – liegt bei zwölf bis vierzehn Jahren. Oberstes Ziel der Ermittler ist es also, nachwachsenden Generationen den Spaß zu verderben und den Ruf vom coolen Outlaw anzukratzen. Weswegen Sonja Wolf der bösen Frage, ob unter Graffiti-Sprayern viele „Aufmerksamkeit heischende Würstchen“ seien, auch kaum entschieden widersprechen kann. Zumal sie weiß, was sich nachts auf Polizeiwachen abspielt, wenn Eltern ihre erwischten Sprösslinge abholen – die dann noch selten wie Wagehälse aussehen.

Mancher vorgeladene Graffitimaler bittet sogar um Gnade, wenn die Polizistin ihn über Reinigungskosten von 50 Mark pro Quadratmeter aufklärt und von Anzeige spricht. Nur Abgebrühte bleiben hart, wenn auch noch Schule oder Jugendamt ins Gespräch gebracht werden – sowie weitere Ermittlungen. „Es kann ja sein, dass die eine Person noch viel mehr Graffitis gemacht hat“, sagt Wolf ganz nüchtern. Um das zu klären, hortet die Abteilung Farbvandalismus Fotos von Graffitis, die „je nach Handschrift“ den jeweiligen MalerInnen – die übrigens aus allen Schichten kommen – zugeordnet werden.

Solche Aussichten schrecken nicht nur Erwischte. Sie lassen auch Eltern schaudern. Mariele Künster* beispielsweise, die sich über ihren schwer pubertierenden Sohn zwar nichts vormacht – aber dennoch geschockt war, als der Junge unlängst, statt beim Freund zu schlafen, auf Graffiti-Tour ging. Die kaum 14 Jahre alten Bengel wurden erwischt. „Gottseidank“, sagt zwar die Mutter hinter vorgehaltener Hand. „Vielleicht hört er ja den Schuss.“ Doch sie ahnt auch, dass die Kosten an ihr hängen bleiben. Weshalb sie den Geschädigten angerufen hat, dem die Jungen die Wand beschmiert haben. „Der Mann war verständnisvoll“, sagt die Mutter erleichtert. Die beiden Übeltäter müssen demnächst zum Putzen ausrücken. Während die Angelegenheit bei der Polizei jedoch weiter ihren amtlichen Gang nimmt, wachsen damit die Chancen auf einen glimpflichen Ausgang der Affäre. Denn bei jungen Tätern, zumal bei Ersttätern, geht es auch ErmittlerInnen vor allem um Wiedergutmachung. Erfolge seien beachtlich, heißt es, da erwischte Graffiti-Anfänger lernbereit seien.

Lernen sollten allerdings auch Opfer von Graffitikritzeleien, meinen PolizistInnen. „Wo ein Sgraffito ist, kommen schnell mehrere dazu.“ Prävention heiße auch, beschmierte Wände schnell zu reinigen. Darüber wird Sonja Wolf demnächst den Horner Beirat beraten – der sich auf keine wirkungsvolle Aktionen gegen Graffiti noch nicht einigen konnte, obwohl die im Stadtteil hinter der Eisen- und Autobahnunter-führung um sich greifen.

„Ich glaube nicht, dass dafür Jugendliche aus Gröpelingen angereist sind“, lässt Ortsamtsleiter Ulrich Mix zwar durchblicken, dass er Jugendliche aus dem eigenen Quartier für die Drahtzieher hält. Doch nimmt er die subjektiven Ängste der Bevölkerung ernst, wo viele fürchten, „wenn ein Graffitimaler zuschlägt, würden sie auch bald überfallen“. Doch nicht nur deshalb hat er selbst schon am Ortsamt „schwarze Striche“ übermalt. „Es sind einfach zu viele – wohin man blickt.“

Eva Rhode

*Name geändert

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