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„Die Erste-Welt-Träume sind kaputt“

Carlos Vilas vom Institut für wirtschaftliche Entwicklung (IADE): „Banken und Konzerne müssen Gewinne abgeben“

taz: Während der vergangenen zehn Jahre, als der Peso an den Dollar gebunden war, hieß es, dass eine Abwertung automatisch zur Inflation führen würde. Steht Argentinien jetzt genau das bevor?

Carlos Vilas: Es sind bereits Preissteigerungen in einigen Bereichen zu verzeichnen. Aber nicht jede Preissteigerung bedeutet eine Inflation. Wichtig ist, dass die Basisprodukte stabil bleiben, also Treibstoff, Lebensmittel, Medikamente. Die Menschen können ja nicht einfach aufhören zu essen oder zur Arbeit zu fahren. Preissteigerungen, wie wir sie gegenwärtig im Bereich der Importprodukte erleben, bei Fernsehern oder Kühlschränken etwa, sind vorübergehend. Wenn die Menschen kein Geld haben und die teuren Produkte nicht kaufen, dann werden auch bald wieder die Preise fallen.

Es ist vorgesehen zwei verschiedene Wechselkurse zwischen Peso und Dollar einzurichten: Der Kurs zwischen Dollar und Peso für den Außenhandel wird von der Zentralbank festgelegt. Für alle anderen Finanztransaktionen wird der Kurs frei schwanken. Ist ein solches System denn überhaupt stabil genug?

Auch andere lateinamerikanische Länder arbeiten mit diesem System. Sie haben einen Handelsdollar und einen Finanzdollar. Der Vorteil ist, dass auf diese Weise der Export stimuliert werden kann und die Importe gebremst werden können. Der frei schwankende Finanzdollar wird zum Beispiel den argentinische Tourismussektor stärken. Weil der Dollar so billig war, war es bislang für Argentinier billiger, in die Karibik zu fliegen als nach Feuerland. Auch wird es für Ausländer billiger werden, hier Urlaub zu machen.

Durch die Umrechnung aller Kosten für Dienstleistungen in Pesos kommt der Ausstieg aus der Parität die Banken und die transnationalen Konzerne teuer zu stehen. Ist dies eine Kampfansage?

Die internationalen Banken und die privatisierenden Konzerne gehören zu den Sektoren, die in Argentinien in den vergangenen zehn Jahren dank der Parität am meisten Geld verdient haben. Jetzt müssen sie einen Teil ihrer Gewinne abgeben, um den Ausstieg zu finanzieren, aber sie werden kein Geld verlieren. Viele Maßnahmen der Regierung sind nur ausgleichende Gerechtigkeit. Die Steuer auf den Erdölexport zum Beispiel: Die spanische Repsol, die das argentinische Erdöl fördert, weigert sich, dies zu akzeptieren. Dabei muss anerkannt werden, dass sie durch die Abwertung weiter harte Dollar verdient, bei der Ölförderung durch die Abwertung aber 40 Prozent weniger Kosten hat. Dieser Mehrgewinn kam nicht durch technologische Neuerungen oder Investitionen zu Stande, sondern allein dadurch, dass sich das Verhältnis Peso zu Dollar verändert hat.

Was muss jetzt geschehen, damit Argentinien wirtschaftlich wieder auf die Beine kommt?

Nach zehn Jahren neoliberaler Umstrukturierungen produzieren wir heute nicht mehr. Genau hier muss angesetzt werden. Die Industrie muss geschützt werden, und es muss Investitionsanreize geben. Aber hier liegt auch ein Problem: Ein großer Teil unseres Unternehmertums existiert nicht mehr, und die nötige Infrastruktur ist in vielen Bereichen nicht mehr vorhanden. Es kommt ein sehr schwerer Weg auf uns zu. Nichts wird von heute auf morgen gehen. Wir müssen anerkennen, dass wir in den vergangenen zehn Jahren das Land der leichten Gewinne und ein Konsumentenland geworden sind. Argentinien ist pleite, die Erste-Welt-Träume von Präsident Carlos Menem sind kaputt. Wir sind ein Land in Entwicklung mit allen dazu gehörenden Problemen: schlechtes Bildungs- und Gesundheitssystem, Kriminalität, große Kluft zwischen Arm und Reich. Es ist eine schmerzhafte Erkenntnis.

INTERVIEW: INGO MALCHER

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