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Die Nachtigall aus Bremen-Nord

■ Aller guten Dinge sind drei: Corinna May tritt wieder mal zum Grand Prix an. Und Bremen diskutiert: Klappt es diesmal, hat sie wirklich 80 Prozent Gewinnchancen (Bild) oder gilt leider: Gar nichts neu macht die May?

Der NDR hüllt sich in Schweigen, erst gestern Abend wollte man zu nachtschlafender Zeit um 23 Uhr, dafür mit Pauken und Trompeten, im Hamburger Schmitz Tivoli die offiziellen Nominierungen für den deutschen ARD-Quotenliebling Grand Prix-Vorentscheid bekannt geben – „Um dem Ganzen noch ein bisschen mehr die Aura von Exklusivität zu verleihen“, so die Dame von der Pressestelle.

Dennoch pfeifen es seit einigen Tagen nicht nur die Spatzen von der Bild durch die Gazettenseiten: Corinna May wird am 22. Februar in Kiel dabei sein wird – um dann möglichst am 25. Mai in Tallin die deutsche Flagge hochzuhalten.

„Eine Stimme – authentisch, live, urgewaltig (!), zartfühlig, leidenschaftlich, ohne technische Aufbesserungen oder optischen Schnick-Schnack: einfach Stimme pur.“ – So beweihräuchert Corinnas Homepage der blinden Bardin höchstes Gut und gewährt dem Interessierten mehr oder minder intime Einblicke ins Privatleben. Dass sie lieber Christina als Britney hört, Coca Cola Pepsi vorzieht und das Lebensmotto „Alles oder Nichts“ verfolgt erfahren wir. Was sie gar nicht mag: „Über den Grand Prix von 1999 reden“....

Es geht dabei eindeutig um mehr, als nur darum, den olympischen Dabeisein-ist-alles-Gedanken in die bühnenreife Tat umzusetzen. „Das Leben ist zwar nicht beendet, wenn man das Ding nicht gewinnt, aber Corinna tritt an, um zu siegen, was anderes kommt nicht in Frage“, so Dirk Münchow, der sich seit fünf Jahren Corinnas Manager nennt.

Die Teilnahme der Frau aus Bremen Nord ist auch und vielmehr eine Frage der Ehre. Wir erinnern uns: Vor knapp drei Jahren nach einem mitreißenden Auftritt in der Bremer Stadthalle als Siegerin gefeiert, wurde sie keine drei Tage später disqualifiziert. Ihre pädagogisch wertvolle Ralph-Siegel-Ballade „Hör den Kindern einfach zu“ gab's bereits auf CD. Und da alte Titel, die bereits vor dem Vorentscheid ihren Weg ins Presswerk gefunden haben, von der Teilnahme ausgeschlossen sind, wurde „unserer“ Corinna prompt das Krönchen und damit das Ticket nach Jerusalem entrissen – Zyniker vermuteten ja damals, sie habe wohl das Kleingedruckte in den Wettbewerbsbedingungen nicht gelesen...

Vor zwei Jahren ein fulminantes Comeback mit der Kirchenhymne „I believe in God“, die sie hinter dem Sieger Stefan Raab platzierte. Kurzer Hoffnungsschimmer: Die Jury bezichtigte auch Raab, ein Plagiator zu sein, erinnerte doch die Blödel-Nummer „Wadde hadde dudde da?“ bizarrerweise an ein Popstück der Spice Girls. So wäre das, was ihr zwei Jahre zuvor zum Verhängnis geworden war, nun fast ihr Glück geworden, des einen Leid, des anderen Freud. Das Schicksal meinte es nur leider nicht so gut, aus der Reise nach Stockholm wurde nichts, den Raab befand man für unschuldig.

Im Jahre 2002 sind die Karten beziehungsweise Noten neu gemischt. Eine „flotte Tempo-Nummer, die direkt ins Ohr geht“ hat Ralph Siegel ihr auf die Stimmbänder komponiert, wie die Bild schon weiß, obwohl man das Stück erst ab 18. Februar hören kann. – „I can't live without Music“ heißt Corinnas Hoffnungsschimmer und ist, wenn man obige Beschreibung grob musikwissenschaftlich ummodelt, wohl eine Dancefloor/Disco-Mischung, ein bisschen Gospel soll auch dabei sein.

Das Besondere in diesem Jahr: Die härtesten Gegner kommen bis auf eine Ausnahme (Mundstuhl) mal nicht aus dem Comedy- oder LifeStyle-Metier, wie Fönwelle Mooshammer mit seiner Daisy, Container-Zlatko oder Guildo, den wir ganz schön lieb hatten. Nino de Angelo wird mit dabei sein, die längst totgeglaubte Kelly Family oder Wuchtbrumme Joy Fleming. „Corinna ist es wurscht, gegen wen sie antritt“, ist sich Manager Münchow sicher.

Heißa! Endlich geht es wieder um Schlager... „Wir bringen dem Grand Prix sein Niveau zurück“ wettert Platten-Pabst Siegel jedes Jahr aufs Neue im TV. Zurück aus welcher Zeit? Und vor allem: welches Niveau? Bewies doch die jüngere Grand Prix-Vergangenheit, dass der Grand Prix durch derlei Blödeleien endlich zum Event wurde, über das man sprach. Und das vor allem Quote brachte. Über was soll man sich denn jetzt noch aufregen?

Zunächst einmal ist aber Corinna May an der Reihe. Sie ist eine Botschafterin für den Frieden und eine heile Welt, dazu Frau mit tragischer Wettbewerbsvergangenheit. Und, nicht zu vergessen: singen kann sie auch. Beste Voraussetzungen also, um endlich, endlich den Platz als Siegerin zu verlassen. Deutschland sollte Corinna May nach Kräften unterstützen, dann wird sie ihren Frieden finden und die Nation sich demnächst wieder mit Herzenslust über Sinn und Unsinn peinlicher Promi-Auftritte streiten können.

Neue Gaga-Vokalisten braucht das Land – inklusive Lockerung des Vorabveröffentlichungs-Verbotes, um lästigen Skandalen vorzubeugen. Erste Nomminierungen für die Teilnehmerliste: Boris Becker mit „Ooops...I did it again“, Angela Merkel mit „Königin von Deutschland“ oder Sabine Christiansen im Duett mit Ulla Kock am Brink („Time to say Goodbye“). Oder eben Corinna, die vierte – weitere Vorschläge bitte direkt an Ralph Siegel.

Roland Rödermund

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