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Sparen für den Kauf eines Schulhefts

Die sechsköpfige kosovo-albanische Familie J. kann zwar nicht abgeschoben werden. Denn der Vater ist schwer nierenkrank und wartet auf eine neue Niere. Aber die Schikanen des Sozialamts Tempelhof-Schöneberg machen das Leben zur Hölle

HEIKE KLEFFNER

Manche Wünsche, sagt Hava B., kann man nicht mit Geld erfüllen. Vor allem den nach einer neuen Niere für ihren Ehemann Besim, der seit fünf Jahren an einer lebensbedrohlichen Nierenerkrankung leidet.

Die Krankheit sei einer der Gründe für ihre Flucht nach Deutschland gewesen, sagt das kosovo-albanische Ehepaar. Denn die aufwändige Dialyse, der sich der heute 35-jährige Besim J. vier Mal pro Woche unterziehen muss, sei Albanern nicht zugänglich gewesen. Auch aus anderen Gründen war das Leben für die Familie J. im Kosovo Mitte der 90er-Jahre immer schwieriger geworden. Besim J., der bis zum Ausbruch seiner Krankheit als Bäcker in Kroatien gearbeitet hatte, sollte zum Militär eingezogen werden. „Ich wollte für keine Seite kämpfen“, sagt der schmale Mann mit den dunklen Augenringen bestimmt. „Die serbische Polizei hat mich nicht nur als Albaner, sondern auch wegen meiner häufigen Arbeitsaufenthalte in Kroatien als Feind angesehen.“ Mehrfach wurde er deshalb festgenommen. „Im Frühjahr 1995 schlugen mich die Polizisten dabei so stark, dass ich um mein Leben fürchtete. Außerdem vernichteten sie meine Ausweispapiere und sagten mir, dass ich nach Kroatien verschwinden solle.“

Eine Aufforderung, der Besim J. zwar nachkam, die ihm aber nicht weiterhalf. Denn die dortigen Behörden lehnten im September 1996 seinen Antrag auf die kroatische Staatsangehörigkeit mit der Begründung ab, er habe sich dem Wehrdienst entzogen und sei außerdem nierenkrank. „Danach wurde ich aus Kroatien ausgewiesen“, sagt Besim J. „Wir hatten keine andere Wahl, als zu fliehen“, ergänzt seine Ehefrau. Angesichts der Repressalien im Kosovo sei eine Rückkehr dorthin unmöglich gewesen. Zudem sei die Gesundheitsversorgung von Albanern damals vor allem durch „fliegende“ Ambulanzen sichergestellt worden. In den von Serben dominierten Krankenhäusern wurden ihnen Behandlungen schlichtweg verweigert. Dialysemöglichkeiten gab es nicht.

Das Fluchtziel sei schnell bestimmt worden: Verwandte lebten in Berlin. Vier Tage brauchte das Paar und die damals zwei- und vierjährigen Kinder, bis sie im Oktober 1996 in Deutschland ankamen. Gerade rechtzeitig für Besims nächste Dialyse, wie die Ärzte feststellten.

Am Anfang seien „alle sehr nett“ gewesen, sagen die J.s. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustands von Besim J. wies das zuständige Sozialamt Schöneberg der Familie eine eigene Dreizimmerwohnung in einem Wohnheim für „besondere Fälle“ in Marzahn zu und übernahm die Kosten für Besim J.s Behandlung. Selbst mit der laut Asylbewerberleistungsgesetz verringerten Sozialhilfe sei sie „irgendwie ausgekommen“, sagt Hava J., deren zwei jüngsten Kinder in Berlin geboren wurden.

Genau 1.908 Mark erhielt die sechsköpfige Familie bis zum September 2001 monatlich vom Sozialamt. „Schwierig wurde es immer, wenn ich versucht habe, die von den Ärzten vorgeschriebene Diätnahrung für Besim zu kaufen“, lächelt Hava J. Aber immerhin habe sie die Summe als Bargeld erhalten, so dass sie in nahe gelegenen Supermärkten auf Angebote achten konnte.

Inzwischen kann Hava J. von Euromünzen allenfalls träumen. Anstelle einer Erhöhung der Sozialhilfe auf den vollen Regelsatz, auf den die J.s nach dreijährigem Aufenthalt in Berlin Anspruch gehabt hätten und den sie mit Hilfe der Forschungsgesellschaft Flucht und Migration (FFM) im September auch beantragte, bekommt die Familie nur noch 564 Euro. Und die nicht bar, sondern als Guthaben auf einer Chipkarte. Lediglich ein Taschengeld von 20 Euro pro Erwachsenen und 10 Euro pro Kind wird ihnen bar gezahlt. Das entspricht insgesamt nur noch rund 1.224 Mark, somit nochmals fast 700 Mark weniger als bisher.

Das Sozialamt Schöneberg-Tempelhof habe die J.s in dem Moment anders behandelt, „als sie ihre Rechte einforderten“, klagt Eva Weber von der FFM. Der Familie sei nun unterstellt worden, nur zum Zwecke des Sozialhilgebezugs nach Deutschland gereist zu sein. Das reichte als Begründung für die Umstellung auf Chipkarten und die Reduzierung der Sozialhilfe. Die Verfolgungsgeschichte von Besim J. und seine gesundheitliche Situation seien völlig außer Acht gelassen worden, empört sich die Flüchtlingsberaterin.

Hava J. fragt sich derweil, „was wir eigentlich verbrochen haben, dass das Sozialamt uns so behandelt?“ Und wie sie die täglichen Einkäufe nun erledigen soll: Denn bis zum nächsten Supermärkten, der die Chipkarte akzeptiert, muss sie „entweder 30 Stationen mit der Straßenbahn oder drei Stationen mit dem Bus, und dann noch mal zwei Stationen mit S- und U-Bahn fahren.“ Jedes Schulheft für die beiden ältesten Kinder bedeutet eine Ausgabe, die langfristig geplant werden muss. Und der Kauf der albanischen Zeitung Koha Dittore, die Besim J. während der vierstündigen Dialyse liest, um sich abzulenken, wurde zu einem Luxus, „von dem ich nur träumen kann.“ Nun hofft die Familie, dass das Oberverwaltungsgericht ihrem Widerspruch gegen die Entscheidungen des Sozialamts stattgibt. Und Flüchtlingshelferin Eva Weber sagt leise: „Zwar können die J.s nicht abgeschoben werden, aber das Sozialamt versucht alles, um ihnen klar zu machen, dass sie hier unerwünscht sind.“

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