KARTELLWÄCHTER UND INTERNETSPEKULANTEN HALFEN BERTELSMANN: Der letzte Gewinner der New Economy
Ohne viel eigenes Dazutun steht Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff als einer der ganz wenigen da, der mit seinen Internetaktivitäten ordentlich Geld verdient hat. Insgesamt 6,75 Milliarden Dollar kann er jetzt für Deutschlands größten Medienkonzern verbuchen, weil Bertelsmann sich endgültig vom Onlineriesen AOL getrennt hat. Es kommt noch besser: Den Geldsegen kann sich Middelhoff höchstpersönlich ans Revers heften: Er überzeugte 1994 den damals äußerst skeptischen Bertelsmann-Vorstand von der Investition ins Internet. Mit 49,5 Prozent stieg Bertelsmann in den America-Online-Ableger AOL Europe ein. AOL wurde in den Folgejahren zum weltweit größten Onlinedienst.
Die jetzt in klingende Münze umgewandelte Trennung von AOL war allerdings weder geplant noch freiwillig, sondern ist den Kartellwächtern in Brüssel zu verdanken. Weil sich im Januar 2000 AOL mit Time Warner zum mit Abstand größten Medienunternehmen der Welt zusammengeschlossen hatte, erzwangen die EU-Behörden deren Trennung von Bertelsmann. Der Abschied vollzog sich also nicht, weil ein visionärer Medienmanager den Abwärtstrend der Neuen Medien über ein Jahr im Voraus erahnt hatte, sondern weil die Wettbewerbshüter wachsam waren. Und so erhandelte Middelhoff im Frühjahr 2000, mitten in der schönsten Interneteuphorie, Ausstiegsbedingungen, die angesichts heutiger Onlinerealitäten traumhaft anmuten.
Sich als Visionär darzustellen, muss Middelhoff aber vorsichtig sein. Erstens hat ihm nur das Platzen der Börsenblase die Möglichkeit zu neuen Einkaufstouren fast ohne Grenzen verschafft, nämlich zu weitaus billigeren Preisen als noch vor zwei Jahren – nur stellt er sich dabei nicht gerade geschickt an. Zweitens hat der Manager mit anderen Internetprojekten wenig Glück gehabt, sei es mit dem als Suchmaschine gestarteten Lycos oder der umgebauten, aber immer noch nicht funktionierenden Onlinemusikbörse Napster. So hat der letzte Gewinner der New Economy noch einige Verluste vor sich. STEFFEN GRIMBERG
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