: Exbodyguard will immun werden
Der ukrainische Offizier Mykola Melnichenko, der den Kassettenskandal auslöste, will bei den Wahlen antreten
Er löste den Skandal aus, der die Ukraine im Herbst 2000 an den Rand einer Staatskrise brachte und Präsident Leonid Kutschma fast sein Amt gekostet hätte: Mykola Melnichenko. Jetzt will der ehemalige Bodyguard des Staatschefs, der quasi über Nacht weit über die Grenzen seines Landes bekannt wurde, bei den ukrainischen Parlamentswahlen am 31. März antreten – für die Sozialisten, wo er auf der Liste den 15. Platz einnimmt.
Der heute 35-Jährige hatte im November 2000 Tonbandaufnahmen, die er mit einem Gerät unter einer Couch in Kutschmas Arbeitszimmer mitgeschnitten haben will, über den Chef der Sozialistischen Partei, Alexander Moros, öffentlich gemacht. Das hochbrisante Material schlug ein wie eine Bombe. Schließlich plauderte Kutschma mit zwei anderen hoch gestellten Persönlichkeiten über Möglichkeiten, den regimekritischen Journalisten Georgi Gongadse (dessen kopflose Leiche vor Veröffentlichung der Bänder entdeckt worden war) loszuwerden, und über dunkle Finanzmachenschaften. In der Folgezeit demonstrierten wochenlang fast täglich tausende Oppositionelle in mehreren ukrainischen Städten und forderten den Rücktritt des „korrupten“ Präsidenten.
Zwar ist die Authenzität der Aufnahmen bis heute nicht abschließend geklärt, doch Melnichenkos Vorbildung legt nahe, dass er sich aufs Lauschen versteht. Vor seiner sechsjährigen Tätigkeit im engsten Kreise von Kutschmas Sicherheitsoffizieren hatte er nach Abschluss der Ausbildung an einer Militärakademie in der Ukraine und dem Dienst in der sowjetischen Armee ein Jahr lang dem damaligen sowjetischen Staats- und Parteichef Michail Gorbatschow im Kreml als Bodyguard gedient.
Kurz vor der Veröffentlichung der Tonbänder am 28. November 2000 suchte Melnichenko samt seiner Frau und der sechsjährigen Tochter das Weite. Mitte vergangenen Jahres erhielt er in den USA politisches Asyl. Auch von dort meldete er sich hin und wieder zu Wort. Sein Ziel, wozu er auch die Aufnahmen zur Verfügung stellte, sei gewesen, „wie ein unabhängiger Don Quichotte das Niveau der Korruption in der Ukraine offen zu legen und sicherzustellen, dass solche Diebe in der Ukraine nie wieder an die Macht kommen“, wie er in einem Interview sagte. In einem anderen Gespräch betitelte er Kutschma als den größten Kriminellen in der Ukraine.
Seinen Schritt, jetzt aus dem Exil und in die ukrainische Politik zurückzukehren, begründete Melnichenko unlängst in einem Brief an die Abgeordneten der Sozialistischen Partei. Er habe sich dazu entschieden, weil seine erzwungene Abwesenheit ihn daran gehindert habe, den Menschen zu helfen, die von hochrangigen, korrupten Beamten verfolgt werden. Aber es gibt einen anderen handfesten Grund, den Melnichenko nicht verhehlt: Der Abgeordnetenstatus würde ihm parlamentarische Immunität vor Strafverfolgung garantieren – für ihn eine unverzichtbare Voraussetzung, „um weiter für die Wahrheit zu kämpfen“.
Das könnte jedoch ziemlich schwierig werden. Der leitende Generalstaatsanwalt der Ukraine, Oleksej Bahanets, kündigte an, Mykola Melnichenko werde umgehend verhaftet, sollte er ukrainischen Boden betreten. Gegen ihn läuft schließlich ein Ermittlungsverfahren: wegen Amtsmissbrauchs und der Verbreitung von Staatsgeheimnissen. BARBARA OERTEL
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