: „Welt hat sich zum Guten entwickelt“
Klaus Schwab, Gründer der Weltwirtschaftsforums, will einen „Ordnungsrahmen für die Globalisierung“
taz: Die Globalisierungskritiker wollen eine bessere Welt, in der die Wirtschaft nicht die Regeln des Zusammenlebens diktiert. Sind Ihnen solche Gedanken nicht vertraut?
Klaus Schwab: Natürlich! Ich habe vor fünf Jahren als einer der ersten davor gewarnt, dass sich die Schere zwischen armen und reichen Ländern nicht weiter öffnen darf. Aber die Welt hat sich in den vergangenen Jahren zum Guten entwickelt. 1971, als das Weltwirtschaftsforum gegründet wurde, lebten vier Milliarden Menschen auf der Erde, davon zwei Milliarden unterhalb der Armutsgrenze.
Hat sich daran etwas geändert?
Es sind immer noch zwei Milliarden Arme, das ist ein Skandal, aber wir haben relative Fortschritte gemacht, denn es gibt heute sechs Milliarden Menschen auf der Erde, und große Bevölkerungsschichten in China, Indien oder Korea leiden sehr viel weniger Not als früher. Wenn ich heute mit afrikanischen Staatschefs spreche, gestehen sie, dass für ihre Misere eigene Fehlleistungen wie Korruption Ursache sind und sie sich selbst reformieren.
Die Anliegen der Globalisierungskritiker sind Ihnen also nicht fremd?
Nein, wir müssen dafür sorgen, dass nicht nur die Wirtschaft global agiert, sondern auch die soziale Verantwortung globalisiert wird. Es geht darum, dass man die Globalisierung, die ja nicht aufzuhalten ist, mit dem nötigen Ordnungsrahmen versieht.
Wie soll das geschehen?
Nach 1989 begannen wir in einer Welt zu leben, in der alles dem Primat der Wirtschaft untergeordnet war. Das hat zu einer Delegitimatisierung der Regierungen geführt. Die Politik muss ja der Gesellschaft dienen. Das tut sie nicht mehr, wenn sie sich der Wirtschaft unterordnet. Unternehmen maßen sich Funktionen an, die außerhalb der demokratischen Legitimität liegen. Das hat zu dieser globalen Wut gegen das System geführt. Es hat auch dazu geführt, dass die NGOs aufkamen und in die Legitimitätslücke der Politik stießen. Die Folgen waren Seattle, Prag, Genua.
Hat sie das weltweite Echo auf diese Demonstrationen nicht beeindruckt?
Antiglobalisierung war ein schönes Schlagwort, aber im Grunde ging es um diese mangelnde Legitimität der Regierungen, gegen die Übermacht der Wirtschaft. Jetzt, nach dem 11. September, gibt es wieder den Primat der Politik, was übrigens auch die NGOs in größere Legitimitätsschwierigkeiten bringt.
Gruppen wie Attac hätten demnach ihren Höhepunkt überschritten?
Ja, ich glaube, auf absehbare Zeit wird uns ein anderes Thema mehr beschäftigen als die Globalisierung, nämlich die genetische Revolution. Ich wette, dass in den nächsten zehn Jahren ein Mensch geklont wird, vielleicht auch früher. Das wird viel problematischer werden als die Globalisierung, weil es dabei um wesentliche Aspekte des Lebens geht, um die Definition von uns selbst.
Welche Folgen befürchten Sie?
Wenn wir das nicht in den Griff bekommen und uns nicht auf eine verbindliche Ethik verständigen, könnte ich mir vorstellen, dass in fünf Jahren der Unmut, der sich in einigen NGOs ausdrückt, vor allem von dem Unbehagen über die genetische Revolution getragen wird.
Können Sie Ihre Mitglieder im Weltwirtschaftsforum für eine solche Debatte überhaupt interessieren? Im Prinzip läuft es doch darauf hinaus, dass man sich Fesseln anlegt. Hat ein Konzern daran Interesse?
Ich glaube, dass da ein Wandel stattfindet. Was Unternehmen in erster Linie wollen, ist Vorhersehbarkeit, eine Sicherheit, die sie brauchen, um Investitionen zu tätigen. Deshalb haben sie auch ein Interesse, an diesen Rahmenbedingungen frühzeitig mitzuwirken. Sie wissen: Diese Dinge stoßen auf ein so gewaltiges Interesse im Volk, dass es ohne Rahmenbedingungen nicht geht. Wir brauchen globale Normen in einer globalen Welt.
Unter Globalisierungskritikern gelten Sie und Ihr Forum als Symbole einer ungerechten Weltwirtschaftsordnung, die man bekämpfen muss. Fühlen sie sich eigentlich als der missverstandenste Mensch auf der Welt?
Nein, ich kritisiere falsche Ansichten über uns nicht als beleidigte Leberwurst, aber ich wünsche mir, dass sich die Medien mehr mit den Inhalten beschäftigen. Ein Beispiel: Lori Wallach, die Frau, die den Protest in Seattle organisiert hatte, kam im vergangenen Jahr nach Davos zu einer Veranstaltung zusammen mit Mike Moore, dem Generaldirektor der Welthandelsorganisation. Es wäre höchst interessant gewesen, wenn die Medien über diesen Dialog berichtet hätten. Stattdessen hat man vom Davoser Gipfel aber nur Leute gezeigt, die in Kampfausrüstung irgendwelchen Polizisten gegenüberstanden, und gesagt: Die Mächtigen schützen sich gegen jeden Dialog. Darunter habe ich sehr gelitten.
INTERVIEW: MARKUS GRILL
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