: Verschrottung des Mittelbaus
Forscher, die keine Professur haben, werden neuerdings höchstens zwölf Jahren von den Universitäten bezahlt. Das ist eine Verschwendung von Kreativität und Ressourcen!
Nicht vom Juniorprofessor soll hier die Rede sein, obwohl seine flächendeckende Einführung den Nachwuchs an unseren Universitäten gerade nicht zu wissenschaftlichen Hochleistungen und zur Freiheit führt – sondern in seiner kreativsten Phase durch Lehr-, Prüfungs-, Verwaltungs- und Managementaufgaben knebeln und damit international bedeutsame Forschung verhindern statt fördern wird. Denn ich will von dem reden, was mir in diesen Tagen ganz akut auf den Dekansnägeln brennt: den Kollateralschäden, die dem real existierenden Mittelbau durch dieses „Jahrhundert(mach)werk“ drohen und die von den Reformern billigend in Kauf genommen werden.
„Mittelbau“, wie das schon in ihren Ohren klingt! Es klingt nach muffigem Mittelmaß, das man getrost der Modernisierung opfern kann. Wie meinte doch ein Kollege schon vor dreißig Jahren, zur Zeit der Diskussion um die Assistenzprofessoren, witzeln zu müssen: „Der Unterschied zwischen radioaktivem Abfall und akademischem Mittelbau? – Beide sind schwer zu entsorgen, aber strahlen tut nur der eine.“ Was damals noch ein Entsorgungsproblem war, tönt nun als unbesorgte Verschrottungsmetapher aus dem Hause Bulmahn. Wie steht es aber mit der Strahlkraft?
Ein Beispiel aus der Freien Universität Berlin: Da bereitet Dr. Martin von Koppenfels am Institut für Allgemeine und Vergleichende Literaturwissenschaft seine Habilitationsschrift über „Die negative Rhetorik der Affekte in der Moderne“ vor; sie wird im Sommer 2003 fertig sein, rechtzeitig zum Auslaufen seiner C1-Stelle. Er hat summa cum laude promoviert, sehr erfolgreich gelehrt und viel beachtete Aufsätze zu einem breiten Themenspektrum verfasst sowie eine brillante Übersetzung und Ausgabe von Gedichten García Lorcas vorgelegt, die im letzten Jahr mit dem Paul-Scheerbart-Preis ausgezeichnet wurde. Ein geist- und einfallsreicher, gründlich und kreativ arbeitender Literaturwissenschaftler also, ein Leuchtturm von größerer Strahlkraft als so mancher Ordinarius – ein „Mittelbauer“, einer von vielen! Und jetzt soll er „verschrottet“ werden, wird nicht just im rechten Moment eine Professur an einem der wenigen Institute für Komparatistik frei.
Wie das? Hat er denn nicht einen aussichtsreichen Antrag auf ein Projekt bei der VW-Stiftung ausgearbeitet, um die viel versprechenden Perspektiven seiner Forschungen zur „Rhetorik der Gefühlsimmunisierung“ über die Habilitation hinaus verfolgen zu können? Der Antrag würde der Freien Universität Drittmittel in Höhe von 780.000 Euro und ihm selbst und zwei Kollegen für weitere fünf Jahre die Möglichkeit eigenverantwortlicher wissenschaftlicher Arbeit und Profilierung sichern. Dies würde auch verhindern, dass die erheblichen öffentlichen Mittel, die in ihre Ausbildung bereits investiert worden sind, nicht in den Sand gesetzt sind. Aber nun hat ihn das neue Hochschulrahmengesetz mit seiner starren Zwölf-Jahre-Fristenregelung ereilt. Es sieht wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeiten nur sechs Jahre vor plus sechs Jahre nach der Promotion – doch nicht mehr darüber hinaus, ja, es schließt das ausdrücklich aus.
Kein Problem!, signalisiert in solchen Fällen die Bundesministerin für Bildung und Forschung, Edelgard Bulmahn. Bloß keine Panikmache!, sekundieren ihr die Hochschulrektorenkonferenz und die Deutsche Forschungsgemeinschaft: Schließlich gebe es doch seit einem Jahr im allgemeinen Arbeitsrecht ein neues Teilzeit- und Befristungsgesetz, das eine zusätzliche befristete Beschäftigung in Drittmittelprojekten oder auch bei Vakanzvertretungen weiterhin möglich machen könne. Mit dieser Auslagerung des Falls aus dem Hochschul- in das allgemeine Arbeitsrecht seien doch alle Übergangsprobleme zu lösen, sei es doch gesichert, dass eine ganze Generation von Assistenten und Privatdozenten nicht als lost generation auf dem Schrotthaufen der Universitätsgeschichte landete!
Wo ist also das Problem? Nun, von Koppenfels kann seinen Antrag, in den er viel Zeit und noch mehr Geist investiert hat, nicht stellen – und kann sich damit auch nicht dem wissenschaftlichen Wettbewerb um eine solche Projektförderung aussetzen. Die VW-Stiftung – wie jede andere Förderinstitution auch – nimmt seinen Antrag nur entgegen, wenn sich unter den Unterlagen auch eine Zusage der Personalstelle seiner Universität findet, ihn bei Bewilligung der Drittmittel weiter zu beschäftigen. Und diese Zusage wird ihm verweigert. Denn seine alles andere als Alma – also gütige – Mater fürchtet, das noch unerprobte Teilzeit- und Befristungsgesetz schütze sie nicht sicher genug davor, dass er sich nach Auslaufen seines Projekts erfolgreich in eine Dauerstelle einklagen könnte.
Opfer solcher Ängste ist nicht nur von Koppenfels, sondern sind viele seiner Generation, darunter gerade die Besten – wie viele, das haben sich die reformwütigen Experten des Bundesministeriums für Bildung und Wissenschaft gar nicht erst die Mühe gemacht zu eruieren. Wer würde schon seine Zeit damit vertun, das schnellstmöglich zu entsorgende Mittelmaß auch noch zu zählen? Wo man doch gerade dabei ist, einen Hochleistungs-Homunkulus aus der Retorte zu heben …
Was tun? Nun, man kann bei der Hotline des Bundesministeriums um Rat und Tat fragen: (0 18 88) 57 20 05. Was man da erfährt, ist allerdings nur Ungereimtes.
Besser scheint es mir da schon, zunächst innerhalb der Universitäten dafür zu kämpfen, dass sie ihre Personalabteilungen zu einer flexibleren Räson bringen – um die Möglichkeiten der Arbeitsgesetzgebung auszuschöpfen und nicht deren Risiken gegen die Betroffenen zu wenden. Nicht zuletzt muss dies auch im Interesse der einzelnen Universität selbst liegen, denn mangelnde Flexibilität bedeutet hier, ihr wertvollstes wissenschaftliches Potenzial, ihre besten Nachwuchskräfte zu verlieren – ein entscheidender Wettbewerbsnachteil.
Die geforderte Risikobereitschaft hält sich zudem sehr im Rahmen, denn eine Projektstelle erfüllt doch genau die Bedingungen des Teilzeit- und Befristungsgesetzes: Wenn das Projekt abgeschlossen ist, ist auch die Arbeit geleistet und entfällt damit der Beschäftigungsgrund. Mit einer erfolgreichen Klage auf Weiterbeschäftigung ist also gar nicht zu rechnen.
Im Übrigen muss natürlich bis zur Implementierung des Bundesgesetzes auf Landesebene der politische Kampf dafür weitergehen, dass flexiblere Formen der Qualifizierung erhalten und ausgebaut werden, die den nicht immer stromlinienförmig verlaufenden Karrieren (etwa von Frauen), den unterschiedlichen Bedürfnissen der verschiedenen Geistes-, Sozial- und Naturwissenschaften und modernem team- und projektorientiertem Forschen angemessener sind.
Damit soll gerade nicht der alten Habilitation als Königsweg zur Professur das Wort geredet werden. Starr gehandhabt, ist diese ein Prokrustesbett wie die Juniorprofessur – eine Ochsentour, die allzu oft auch Mittelmaß erzeugt hat.
Worauf es ankommen soll, ist allein die Leistung – wo und wie auch immer sie erbracht wurde – und nicht die formale Qualifikation. Insofern begrüße ich es sehr, dass gerade in letzter Zeit, und gerade auch an der Freien Universität, brillante und durch exzellente Forschung und Lehre ausgewiesene (noch) nicht habilitierte Bewerber bei Berufungsverfahren gegenüber weniger brillanten Habilitierten mehrmals das Rennen gemacht haben.
An akademischen Karrieren, die sich als eine Reihe von befristeten Beschäftigungen in Drittmittelprojekten oder Sonderforschungsbereichen darstellen, ist nichts Anrüchiges. Hier fristet nicht Mittelmaß sein Dasein und rettet sich immer neu über die Runden. Solche Karrieren entsprechen vielmehr einer postmodernen Organisation von Wissenschaft, die sich in wechselnden Forschungszusammenhängen innovativ immer neu konstituiert.
Das neue Hochschulrahmengesetz verhindert hier, was gefördert werden sollte. Und – das ihm zugrunde liegende vormoderne sozialdemokratische Denken in allen Ehren, nach dem befristete Arbeit an sich und immer schon menschenunwürdig ist und daher weitgehend verboten gehört – unbefristete Arbeitslosigkeit ist schlimmer. Immer.
Wie sagte doch Staatssekretär Wolf-Michael Catenhusen aus dem Bildungsministerium so richtig, im ZDF zu „seinem“ Gesetz befragt: „Können wir das mal eben ausschalten?“
MANFRED PFISTER
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