: „Verrenkungskünstler“
■ „Pschyrembel“ machen kein Behindertentheater, sondern Theater mit Behinderten:„So ein Theater“ hat Mittwoch Premiere
Vor Beginn der Probe herrscht reges Treiben auf der Bühne. „Der Stuhl muss da weg“ – „Nein, den brauche ich doch“ – „Wie soll ich denn da mit dem Rollstuhl vorbeikommen?“. Ria setzt sich durch, der Stuhl verschwindet erstmal hinter der Bühne. „Dann setz ich mich eben auf den Boden“ meint Ursula. „Herrschaften, können wir jetzt?“ fragt ungeduldig Regisseur Rudolph Höhn.
Man kann. Und wie. Was folgt, ist ein Stück Theater einer Theatergruppe, die versucht, ein Theaterstück aufzuführen. Und dabei scheitert. Oder doch nicht? Nach dem Spiel ist vor dem Spiel ... So oder ähnlich lässt sich der Inhalt von dem beschreiben, was die zehn körperbehinderten SpielerInnen derzeit auf die Bühne der shakespeare company zaubern.
Die Entwicklung eines Theaterstückes ist wohl nie ganz stressfrei, doch für die Gruppe „Pschyrembel“ gestaltete sie sich bisweilen als besonders schwierig: Krankheitsbedingte Ausfälle waren keine Seltenheit, was wohl auch maßgeblich zur Namensfindung der Gruppe beigetragen hat: „Pschyrembel“ heißt das Lexikon der Krankheiten. „Ich weiß nicht, ob wir in den 14 Monaten schon mal vollzählig waren“, beschreibt Höhn das Problem. So musste noch kurz vor der Premiere ein kranker Spieler ersetzt werden durch Thomas Zinke, Ensemblemitglied der Company.
Die Not wurde zur Tugend. „So ein Theater“ ist ein Spiel im Spiel, in dem die AkteurInnen die eigene schwierige Ausgangslage überzeichnet darstellen: Addi Paulsen, orientierungsloser und halbseidener Regisseur will sein desolates Ensemble zum Erfolg führen. Trotz Querelen, Fehlbesetzungen, Totalausfällen und genervtem Fragen der Figuren, wann man denn endlich anfangen könne – 20 Minuten nach Stückbeginn wohlgemerkt. Das Theater im Theater manövriert sich durch Texte von Bernhardt, Ionesco, Schiller; die Figuren müssen sich aus den eigenen Reihen auch noch als „Verrenkungskünstler“, als „ethische Verschlampung“ bezeichnen lassen. Doch „Rampensäue“ sind im Stück alle, stets schielend auf das eigene Solo im Scheinwerferlicht...
Zur Gratwanderung wurde während des gesamten Probenprozesses immer wieder der theatrale Umgang mit dem Thema Behinderung. „Eine Geschmacksfrage, aber ich denke, wir haben eine gute Antwort gefunden“ meint Rudolph Höhn, der sich in erster Linie als Regisseur und nicht Behindertenpädagoge sieht: „Die Gruppe will Spaß haben und Theater spielen, der Rest ist Nebensache.“
Entsprechend stellt „So ein Theater“ Behinderung nicht sensationslüstern aus oder ignoriert sie krampfhaft. Vielmehr entwickelt sich durch die besondere Situation der SpielerInnen eine eigene Theaterästhetik. An manchen Stellen karikiert „Pschyrembel“ auf der Bühne auch den kleinen feinen Unterschied, der sie von anderen Gruppen unterscheidet. Klaus fegt im roten Rollstuhl mit geschätzten 18 Kilometern pro Stunde über die Bühne und schwärmt dabei von Albert Einsteins relativitätstheoretischen Berechnungen, nach denen man nicht altert, wenn man sich nur mit Lichtgeschwindigkeit fortbewegt.
Hemmungen aus sich herauszugehen hatten einige SpielerInnen anfangs schon, doch davon ist während der Probe nicht die Spur zu merken. Größtes Problem bleibt jetzt nur noch das leidige Lampenfieber, aber alle sind heiß auf die Premiere am Mittwoch. „Pschyrembel“ will Theater spielen und dabei keinen „Behindertenbonus“ vom Publikum. Anke bringt es auf den Punkt: „Ich bin hier, um zu zeigen, dass ich Theater spielen kann und nicht, dass ich behindert bin“.
Roland Rödermund
Premiere ist kommenden Mittwoch um 19.30 Uhr in der Shakespeare Company. Weitere Aufführungen am 15.2., 15., 30. und 31.3. Karten: Tel.: (0421) 500 333
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