: Die alte Frau und das Meer
Geliebte Tochter: Elisabeth Mann Borgese ist in der Schweiz gestorben. Als Meereskundlerin hatte sie einen unabhängigen Weg gefunden
Freunde berichten, sie habe noch viele Pläne gehabt. Aber etwas Erholung braucht jeder Mensch, und Elisabeth Mann Borgese zog es immer wieder in die Schweizer Berge, um beim Skilaufen auszuspannen. Erstmals allerdings fuhr sie dorthin als öffentliche Person. Denn sie war Ende vorigen Jahres die wichtigste Zeitzeugin in Heinrich Breloers und Horst Königsteins Fernsehopus „Die Manns“. Ohne die einzige noch lebende Tochter der Literaturlegende Thomas Mann wäre es ein langweiliger Film geworden: Denn anders als ihre Geschwister Klaus, Erika, Golo, Monika und Michael sah sie sich nicht als am mächtigen, unnahbaren Vater gescheitertes Kind.
Elisabeth Mann Borgese hat im Gegenteil Zeugnis davon abgelegt, dass sie ihren Vater uneingeschränkt liebte – und von ihm ersichtlich wiedergeliebt wurde. Elisabeth habe sich überhaupt nicht darum geschert, was der Vater nun außerhalb ihrer Welt anderen Leuten bedeutete, meinte Regisseur Horst Königstein: Ihr war er nur und vor allem Vater. Und er hat ihren Charme erwidert. Vielleicht erleichterte die Beziehung, dass sie nie mit ihm als Autorin konkurrierte, um seine Anerkennung nicht buhlte, sondern sie als gegeben annahm. Als sie am 24. April 1918 geboren wurde, stand er schon nicht mehr unter dem Druck, seinen eigenen Ansprüchen zu genügen: Die „Buddenbrooks“, für die er später den Literaturnobelpreis erhalten sollte, waren zu Papier gebracht.
Sie sei mit ihrer Familie, mit ihrer Herkunft versöhnt. Sie wisse nicht, „wie man es erklären kann“, sie sei wohl die, „die sich ihr eigenes Leben am unabhängigsten gestaltet hat, was ja aber vielleicht eben für die Beziehung mit dem Elternhaus sehr gut ist“. „Medi“ oder „Kindchen“ hat Thomas Mann seine Kleine genannt – mit Namen kosend wie bei keinem der anderen Kinder.
Was spielte es da für eine Rolle, dass Thomas Mann Frauen an und für sich nur für „gute zweite Klasse“ hielt und selbst Elisabeths Ausbildung zur Konzertpianistin nicht recht ernst nahm – Frauen am Klavier schmücken Hausmusikabende, aber doch keine Konzertsäle: Das war sein Modus, vor ihr und ihrer Kompetenz keine Angst zu haben. Elisabeth Mann wiederum, am Vater im Umgang mit älteren Autoritäten geübt, heiratete den 36 Jahre älteren italienischen Schriftsteller Giuseppe Antonio Borgese. Mit ihm hatte sie zwei Kinder. 1952 starb ihr Mann – und Elisabeth begann, einen ganz eigenen Weg zu entdecken.
Sie profilierte sich als Meereskundlerin und hielt, ohne je studiert zu haben, an der Ozeanischen Universität im kanadischen Halifax den Lehrstuhl für Meeresrecht inne. Anfang der Siebzigerjahre zählte sie als einzige Frau zu den Gründungsmitgliedern des Club of Rome, dem wichtigsten und prominentesten Think-Tank der späteren Ökologiebewegung. Ohne Mann Borgese (und ihre Kontakte) hätte der Internationale Seegerichtshof in Hamburg nie seine Arbeit aufnehmen können – es war und ist der Versuch, so verstand sie es, Meere und Ozeane frei zu halten von Nutzungen, die nicht den Menschheitsinteressen entsprachen. Sie galt als „Mutter der Ozeane“ – und war doch eher eine Frau, die sich ihre Rolle jenseits nahe liegender Muster neu erfand. Sie liebte ihre Kinder, ihre Männer, ihre Arbeit – und das Erinnern wie bei Breloer und Königstein. Sie mochte ihre Hunde: Für sie erdachte sie eine Erfindung, mit der sie ihnen das Klavierspiel beizubringen hoffte.
Wer „Die Manns“ im Fernsehen sah, verfiel ihrem Lachen. Immer wieder dieses klärende Lachen – ohne Bitterkeit, ohne Spur eines Gefühls von Vergeblichkeit. Lebensgefährten hatte sie, die zuletzt bei ihrem Adoptivsohn in Kanada lebte, einige. Im Dezember fragte Horst Königstein nach, wie es ihr denn gehe. Gut, antwortete Elisabeth Mann Borgese, der Film war prächtig gelaufen, sie selbst in Talkshows und Zeitungsinterviews zur geliebten Person geworden. Und: Sie habe sich wieder verliebt.
Auch dies mag als Hinweis zu lesen sein, dass Elisabeth immer Zukunft vor sich sah. Vergangenheit? Nichts als eine Möglichkeit der Erzählung. Wenn man sich vom Elternhaus nicht lösen könne, „dann kann man es auch nicht unbefangen lieben“. Mann Borgese ist in der Nacht zum Freitag an den Folgen einer Erkältung, die sich beim Skilaufen einfing, in der Nähe von Davos gestorben. JAN FEDDERSEN
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