: Die Uschi-Glas-Gesellschaft
Auf dem Partnerschaftsmarkt werden die tiefsten Ängste einer alternden Wettbewerbsgesellschaft verhandelt: dass man in der Liebe abgemeiert wird
Wo Gefühle sind, da ist auch die Boulevardpresse. Und hält gleich das Mikrofon hin: „Viele Ehen gehen kaputt. Aber dass es mich treffen könnte, hätte ich nicht gedacht“, klagt jetzt die Schauspielerin Uschi Glas, 57. Ihr gleichaltriger Mann war händchenhaltend mit der blonden Brezelverkäuferin Anke S., 30, erwischt und abgelichtet worden. Einen Scheidungskrieg wie bei ihrem Kollegen Klausjürgen Wussow werde es aber nicht geben, betonte die Glas.
Serienstar Wussow, 72, war von seiner FrauYvonne, 46, samt Sohn verlassen worden und hatte sein Trennungsdebakel vor einiger Zeit gleichfalls der Boulevardpresse preisgegeben: „Yvonne war von Anfang an nur hinter meinem Geld her. Und ich habe das nicht durchschaut.“ Wenn schon Prominente so blind ins Verderben laufen, nicht wissend, dass die Liebe nur Lug, Trug und kalte Berechnung sein kann, wie soll es dann erst dem Durchschnittsbürger gehen?
Doch ganz so lustig sind die Promigeschichten nicht. Denn die Presse, auch die seriöse, würde sich nicht darauf stürzen, wenn die Gefühlsjäger nicht ein großes Verletzungspotenzial witterten, das in jedem steckt. Es ist die Angst, in einer Gesellschaft der flexiblen Beziehungen doch den Kürzeren zu ziehen, allein zu bleiben. Je beweglicher das Beziehungsgefüge wird, desto größer die Angst. Sie ist eine Zeiterscheinung.
Auf der Hitliste der Verletzungspotenziale stehen dabei für Männer und Frauen unterschiedliche Horrorsituationen ganz oben: Die Männergeschichten handeln meist von Ehegatten und Vätern, die von der Frau samt Kindern verlassen wurden. Dann verlangt die Frau Unterhalt, mit dem sie möglicherweise gar ihren neuen Liebhaber durchfüttert.
Frauen haben andere Ängste: am Ende doch abgemeiert zu sein in Sachen Liebe, weil die Hautstruktur nicht mehr jung ist. In einer alternden Gesellschaft wird es immer noch vor allem Frauen auferlegt, die kollektiven Verfallsängste zu tragen. Es ist kein Zufall, dass gerade jene Schauspielerinnen, etwa Iris Berben, als „postfeministische Ikonen“ gefeiert werden, die sich ganz banal durch ein dickes Unterhautfettgewebe auszeichnen. Dieses Gewebe entscheidet über die sichtbaren Alterserscheinungen. Bei günstiger genetischer Veranlagung kann eine 50-Jährige daher noch wie eine 30-Jährige fotografiert werden. Das Hochjubeln dieser „gut erhaltenen“ Fünfzigerinnen ist aber keine Integration des Alterns, wie behauptet, sondern die Negation des Verfalls.
Doch um empirische Wahrheiten geht es nicht im heimlichen Geschlechterstreit, bei dem jeder versucht, das Beste für sich herauszuholen. Es geht vielmehr um eine Ambivalenz, die jeder und jede aushalten muss: Einerseits ist man Teil eines wechselhaften Partnerschaftsmarktes, dessen Gesetze verinnerlicht sind und mit jeder Geschichte einer Promitrennung neu definiert werden oder auch nicht. Andererseits aber suchen, das belegen Umfragen, die meisten Menschen eben doch nach Bindungen, die genau diese Gesetze relativieren und die Einzigartigkeit der Person bestätigen – und das in jedem Lebensalter.
Geht man nach dem Marktwert, wie er in Illustriertengeschichten und neuerdings auch von den Evolutionsbiologen herauf- und heruntergebetet wird, dann bliebe Frauen nur eines: in der Jugend möglichst promisk zu leben, weil in dieser Lebensphase das männliche Angebot besonders groß ist. Wer sich dann meistbietend verkauft, hat zumindest Aussicht, in späteren Jahren von dem Geschiedenen noch reichlich Unterhalt zu beziehen. Dann kann man sich schon mal in den neu entstandenen Beginenhöfen für weibliche Singles anmelden. Fehlt nur noch die passende Hunderasse.
In US-Medien wird schon diskutiert, ob es günstiger ist, als gleichaltrige Erst- oder als jüngere Zweitfrau anzuheuern. Die Erstfrau hat den Vorteil oft hoher Scheidungsabfindungen. Die Zweitfrau hat den Nachteil, eben doch mit einem sehr viel älteren Mann ihre besten Jahre zu verbringen und schon in mittleren Jahren zur verwitweten Singlefrau zu werden.
Bei den Männern hingegen sieht der Marktwert anders aus: Wirtschaftlicher Erfolg, Bildung und ein gewisser Unterhaltungswert zählen – also Leistung. Die Klischees der sexuellen Selektion sind das wichtigste Anpassungsinstrument an die Wettbewerbsgesellschaft, so beschreibt es der französische Kultautor Michel Houellebecq. Die erfolgreichen Männer müssten dann schon aus Gründen der Liebesökonomie in mehreren Ehen durch die Frauenwelt recyclet werden – jedenfalls ein lustiger Gedanke.
Doch stimmt das Ganze überhaupt, oder dient das Gerede vom Marktwert nicht nur zur Stabilisierung von Klischees, unter denen die meisten leiden?
Ein paar Mythen kann man leicht zerstören. Erstens: Das Vorurteil, dass mehr ältere Frauen als Männer Singles seien, stimmt nicht. Unter den 45- bis 55-Jährigen leben immer noch mehr Männer als Frauen allein. Das Gefälle bleibt auch dann, wenn man Alleinerziehende als Singles mitzählt. Zweitens: Die Zahl der Scheidungen in Langzeitehen ist immer noch signifikant niedriger als die Zahl der Scheidungen nach drei oder vier Jahren Ehe. Und auch die Sache mit dem Altersunterschied ist zu relativieren: In nichtehelichen Lebensgemeinschaften der 45- bis 50-jährigen Männer hat nur jeder Achte eine Freundin, die über zehn Jahre jünger ist.
Männer binden sich allerdings nach einer Scheidung schneller als Frauen. Laut einer deutschen Studie hatten etwa 80 Prozent der Männer einige Jahre nach der Scheidung eine neue Partnerin gefunden, jedoch nur zwei Drittel der Frauen.
Sind die Frauen also doch benachteiligt? Das ist nicht so einfach zu beantworten, denn beide Geschlechter sind für die Muster ihrer Partnerwahl auch selbst verantwortlich. Der Bielefelder Soziologe Hans-Peter Blossfeld hat festgestellt, dass qualifizierte Frauen sich schwerer tun, einen Partner zu finden, weil sie eben einen Mann mit gleichem oder sogar höherem sozialen Status wünschen. Frauen stecken also in der „Statusfalle“.
Aber auch Männer sind in ihrer „Leistungsfalle“ gefangen. Beruflicher Erfolg geht meist auch mit hohem Stress einher, und der lässt den Testosteronspiegel und damit auch die Libido sinken, betonen neuerdings Fachärzte. Macht ist also nicht unbedingt sexy. Und was das Altern betrifft: Männer altern organisch schneller als Frauen, weil Testosteron schlecht ist für die Blutfettwerte und den Stoffwechsel. Östrogene hingegen schützen vor Herzinfarkt.
Wir leben in einer sexuellen Angebergesellschaft. Während sich alle Fernsehkanäle mit Sex beschäftigen, ist die durchschnittliche Frequenz des real praktizierten Geschlechtsverkehrs gesunken, wie der Sexualforscher Gunter Schmidt feststellte. Die steigende Zahl der Singlehaushalte lässt erwarten, dass der Trend weiter abwärts weist. Wenn schon die Lufthansa-Aktie und der CSU-Kanzlerkandidat Stoiber als sexy beworben werden, drängt sich der Verdacht auf, dass wir uns längst in einer „postsexuellen Gesellschaft“ befinden.
Doch Sex ist nun mal sehr stark mit der Idee von Vitalität und Liebe verknüpft. Die Frage stellt sich also, wie diese Verknüpfung künftig gestaltet wird. Als „Emanzipationsweg“ der Frauen wird dabei oft der „männliche“ Weg beschrieben – mit den Berichten über Frauen, die sich noch in höherem Alter jüngere Liebhaber nehmen und wie die Männer als Sextouristinnen in ferne Länder reisen.
Diese Berichte haben zwar etwas Befreiendes, entsprechen aber nicht der emotionalen Realität vieler Frauen. Ihnen ist der Gedanke durchaus ein bisschen peinlich, mit einem 20 Jahre jüngeren Mann ins Bett zu gehen (Fälle von großer Liebe ausgenommen); sie bevorzugen Sex mit Gleichaltrigen.
Es ist auch eine emotionale Fähigkeit, das Begehren eben nicht in erster Linie über das Visuelle, sondern über die Art des Kontakts zu einer Person entwickeln zu können. Über diese „weibliche“ Ressource verfügen glücklicherweise auch mehr Männer als in der Bumspresse so dargestellt. In einer alternden Gesellschaft könnte sich dies noch mal als ziemlich wertvoll erweisen.
Die andere Variante besteht darin, die Partnerwahl künftig nach dem Modell Altersheim zu gestalten: Dort können die alten Leute oft nichts miteinander anfangen und hoffen auf die Besuche der jüngeren. Übertragen auf das Liebesleben gilt: Auch diese Alternative muss man akzeptieren. Aber ja nicht unbedingt für sich selbst.
BARBARA DRIBBUSCH
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