: Beweismittel zum Kotzen
■ Brechmitteleinsätze trotz ungeklärtem Todesfall weiter forciert. Ärztin bleibt Zeugenaussage im Drogen-Prozeß erspart
Hamburg läßt immer mehr Kotzen. Auch nach dem Tod von Achidi J. infolge eines Brechmitteleinsatzes ist die umstrittene Beweissicherungsmethode weiter forciert worden. Nach dem tödlichen „Zwischenfall“ Anfang Dezember wurden allein bis zum 17. Februar 53 mutmaßliche Dealer in der Rechtsmedizin zwangsvorgeführt. Nicht allen mußte eine Magensonde eingeführt werden, da mehrere Beschuldigte nach der Androhung „freiwillig“ Drogenkügelchen ausspuckten.
Bei jedem vierten Vorgeführten schlug die Tortur fehl: 13 mal wurden keine Drogen zutage gefördert. Insgesamt hat sich die Anzahl der Brechmitteleinsätze in den ersten dreieinhalb Monaten nach dem Regierungswechsel damit auf 72 Brechmitteleinsätze erhöht, von denen 17 nicht das gewünschte Ergebnis erbrach(t)en.
Unter welch chaotischen Umständen die umstrittenen Einsätze ablaufen, verdeutlicht zur Zeit der erste Drogenprozeß, bei dem die Brechmitteleinsätze eine Rolle spielen. So wurde der mutmaßliche Dealer Alpha Z. zum Kotzen gebracht, obwohl er vorher bereits 18 Kügelchen Crack ausgespuckt hatte. Auch soll es nach dem gegenwärtigen Stand der Beweisaufnahme weder zu einer vorsorglichen Untersuchung noch zu einer Rechtsmittelbelehrung des Beschuldigten gekommen sein.
Die Vorladung der Ärztin, die den Brechmitteleinsatz vorgenommen hat, lehnte das Gericht mit der Begründung ab, es sei „unerheblich“ für den Verfahrensausgang ob bei dem Einsatz „massiv gegen die ärztlichen Pflichten verstoßen worden“ sei.
Die nun nicht in den Zeugenstand gerufene Ärztin war auch an dem tödlichen Brechmitteleinsatz gegen Achidi J. beteiligt, dessen von der Berliner Rechtsmedizin vorgelegter Obduktionsbericht nach wie vor von der Staatsanwaltschaft unter Verschluß gehalten wird. Bekannt wurde inzwischen nur, dass der kollabierte und später am Hirntod verstorbene Mann offenbar eine Vorschädigung am Herzen hatte. Nach Informationen aus dem Institut hat das rechtsmedizinische Gutachten keine strafrechtlich relevanten Fehler bei der Durchführung des Brechmitteleinsatzes ergeben. Ob auch die Reanimation rechtzeitig und fachgerecht durchgeführt worden ist, darüber gibt es hingegen offenbar noch keine gesicherten Erkenntnisse.
Marco Carini/Kai von Appen
Die Veranstaltung „Brechmitteleinsätze und Widerstand“ der Kampagne gegen Brechmitteleinsätze findet am Freitag um 19 Uhr nicht - wie angekündigt - in der Motte, sondern in der „W 3“ (Nernstweg 32) statt.
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