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Ein Bahnhof ist kein Wartesaal

Die Bahn will unerwünschte Besucher von den Bahnhöfen fernhalten. Deswegen sollen die Bahnhofsmissionen kein Essen mehr ausgeben

von SUSANNE AMANN

„Finger weg, hier geben nur wir Essen aus!“ Der deutliche Klaps auf die ausgestreckte Hand war kein sanftes Tätscheln, folgsam ziehen sich die Finger mit den dunklen Rändern unter den Nägeln zurück. Freundlich, aber durchaus resolut steht Janina Jonitz in ihrer leuchtend blauen Weste hinter dem Tablett mit den geschmierten Brötchen. „Käse oder Marmelade, beides auf einmal gibt es nicht, Sie können sich nachher noch einmal anstellen, wenn Sie noch etwas wollen.“

Der enge Vorraum, in dem eine lange Schlange Menschen geduldig auf die Brötchen wartet, ist der Eingang der Bahnhofsmission am Berliner Bahnhof Zoo, Jebensstraße Nummer 5. Ein karger Raum, grauer Linoleumboden, vier Tische mit weinroten Wachsdecken. Ein einsamer Weihnachtsstern versucht, ein bisschen Farbe in den grünen Wald der Topfpflanzen zu bringen. Hier geben Janina Jonitz, stellvertretende Leiterin, und ihr Team vier Mal am Tag Tee und Brötchen aus, was von ihren Gästen mal murrend, mal verschämt, aber immer ein bisschen dankbar angenommen wird.

Wenn es nach Hartmut Mehdorn und der Deutschen Bahn geht, wird sich das ändern. Gefolgt von großem Protest hatte der Bahnchef in einem Interview im letzten Herbst noch einmal das unterstrichen, was schon lange Konzept ist: Die deutschen Bahnhöfe sollen sauberer werden – und da passen Obdachlose, Bettler oder Punks nicht mehr ins Bild. Deshalb soll es nach Mehdorns Plänen auch die Essensausgabe der Bahnhofsmission in Berlin bald nicht mehr geben, denn die regelmäßige Verteilung von belegten Broten helfe, so die Bahn, „die Randgruppen direkt in Bahnhöfe zu locken“. Und wer sich dort aufhalten darf, dazu gibt es sehr unterschiedliche Meinungen.

Nicht gesprächsbereit

„Man kann nicht jemanden, nur weil er bettelt oder sein Bier trinkt, einfach wegschicken“, sagt Werena Rossenke, Sprecherin der Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe (BAG). Seit Jahren gebe es die Tendenz, Obdachlose aus öffentlichen Räumen zu vertreiben, der Bahnhof sei nur das beste Beispiel dafür. Auch Stadtverwaltungen hätten versucht, mit so genannten Ordnungssatzungen in ihren Innenstädten das Betteln und Herumlungern zu verbieten. Dem sei zwar bisher vor Gerichten nicht stattgegeben worden. Trotzdem gebe es aber immer mehr Einkaufscenter, Bahnhöfe und öffentliche Plätze, die mit Hilfe von Sicherheitsdiensten und Überwachungskameras von den Randgruppen der Gesellschaft abgeschottet werden sollen. Mit einer Plakatkampagne, die heute in mehr als 100 Städten startet, will die BAG auf diese Problematik aufmerksam machen. Unter dem Motto „Die Entdeckung Bahnhof – Wer nicht konsumiert, fliegt raus“ protestiert der Verband gegen die Ausgrenzung und Vertreibung Armer aus dem Bahnhof und der Stadt. Die Bahn habe sich in dieser Sache bisher nicht gesprächsbereit gezeigt, so Rossenke, und sich geweigert Werbeflächen für die Kampagne zur Verfügung zu stellen. So werden die Plakate werden nur vor den Bahnhöfen hängen.

Denn aus dem Blickwinkel des Schienenkonzerns sieht die ganze Sache naturgemäß ein bisschen anders. „Es geht uns nicht darum, wer konsumiert oder nicht“, sagt Bahnsprecher Achim Stauß. „Wir haben eine Hausordnung – und es macht für uns keinen Unterschied, wie jemand aussieht, wenn er gegen die verstößt.“ Die Hausordnung verbietet „Herumlungern“ oder „aggressives Betteln“ und meint damit eindeutig nicht den normalen Reisenden. Konsequent hat die Bahn in den letzten Jahren ihre Bahnhöfe saniert und modernisiert. Mit dem erreichten Standard entspräche man nur den Kundenwünschen nach mehr Sauberkeit und Sicherheit, erklärt Stauß die Bemühungen. Gleichzeitig habe es die Bahn damit aber auch geschafft, als Transportunternehmen konkurrenzfähig zu werden.

Zwischen den Stühlen

Das Bahnhofsmission steckt bei diesem Konflikt zwischen beiden Stühlen. An deren Essensausgaben entzündete sich im letzten Jahr erneut der Streit über den Umgang mit den unwillkommenen Gästen. Obwohl der katholische Caritasverband und die evangelische Diakonie sowohl konfessionelle Träger der Bahnhofsmissionen als auch Mitglieder der BAG sind, erklären sie sich nur zum Teil mit dem Konfrontationskurs der BAG einverstanden. Denn man arbeite intern sehr gut mit der Bahn zusammen, die sich in akuten Notfällen wie extrem kalten Nächten sehr flexibel zeige und keinen auf die Straße schicke, wie Eva Ziebertz, Bundesgeschäftsführerin der katholischen Bahnhofsmissionen, betont. Zudem gehöre es auch nicht zu den ersten Aufgaben der Bahnhofsmission, Essen an Bedürftige auszugeben; dafür gebe es heute in den meisten Städten alternative Einrichtungen. Aber Ziebertz stellt auch fest: „Man kann Menschen nicht in die gleiche Kategorie wie Coladosen und Zigarettenkippen stecken und sie einfach aus dem Bahnhof fegen.“

In einem sind sich alle drei Parteien einig: „Nicht nur die Bahn vertreibt Obdachlose“, sagt Eva Ziebertz. „Das ist doch ein gesellschaftliches Problem, ich weiß gar nicht, warum da alle immer nur die Bahn kritisieren“, so Bahnsprecher Stauß. „Wir wollen mit unserer Aktion nicht nur die Bahn anprangern, sondern das Problem ins öffentliche Bewusstsein rücken“, bestätigt auch Werena Rosenke von der BAG.

Ein Konsens, der jedoch nicht weiterhilft und Janina Jonietz am Bahnhof Zoo nur zu vertraut ist. Bahnchef Mehdorn, der ihre Essensausgabe nicht mehr direkt am Bahnhof haben wollte, bot einen alternativen Standort zwei, drei Kilometer weiter. Das zuständige Bezirksamt erfuhr davon und intervenierte mit dem Hinweis auf die ängstlichen Bewohner eines Altenheims. Seitdem liegt die Sache auf Eis.

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