: Ein Moskauer Prozess um die Ehre
von BORIS SCHUMATZKY
Kurz vor dem heutigen Beginn des Gerichtsprozesses gegen die taz und ihren langjährigen Moskau-Korrespondenten Klaus-Helge Donath veröffentlichte das Regierungsblatt Rossijskaja Gazeta einen Artikel über den Fall. Die Zeitung erzählte die rührende Geschichte eines Jurastudenten aus dem sibirischen Tscheljabinsk, der während eines einsamen Abendspaziergangs eine Ode an den russischen Präsidenten Wladimir Putin gedichtet hat. Wegen seiner patriotischen Tat wurde der Student, so die Rossijskaja Gazeta, im In- und Ausland verspottet. Die Berliner taz habe ihm sogar unterstellt, er sei für sein poetisches Werk bezahlt worden. Der beleidigte Dichter ging vor Gericht.
Den dichtenden Studenten aus Tscheljabinsk erwähnte Klaus-Helge Donath tatsächlich in seinem taz-Beitrag über den aufkeimenden Kult um die Person des russischen Präsidenten. Unter vielen kuriosen Blüten, die der Personenkult um Putin trieb, wird darin auch die Ode angeführt. Nirgendwo schreibt aber Donath, der patriotische Dichter habe sein Werk verkauft. Im Gegenteil, als bezeichnend betont er gerade die Tatsache, dass ein Student nicht nur die Vertonung, sondern auch die Aufführung und sogar die Studioaufzeichnung seines Präsidentenliedes aus eigenen Mitteln bestritt.
Leichtes Spiel für die Verteidigung?
Die Anklage schien keine Trümpfe in der Hand zu haben. Alles sah nach einem leichten Spiel für die Verteidigung aus, aber nur bis zum Tag, an dem die Rossijskaja Gazeta für den scheinbar Geschädigten Partei ergriff. Die Regierungszeitung betonte, es gehe in diesem Fall auch um die Ehre „unseres Präsidenten“, der die Kassette mit dem Lied persönlich erhalten habe. Nachdem die Rechtsanwältin der taz diesen Artikel in der Rossijskaja Gazeta gelesen hatte, gab sie den Fall sofort auf. Die Anwältin ist in der Ära Stalin aufgewachsen. Damals hatten die Volksgerichte ihre Beschlüsse aus der letzten Ausgabe der zentralen Prawda abgeschrieben. Rechtsanwälte, die solche Anweisungen nicht erfüllten, überlebten in ihrem Beruf nicht lange.
Wenige Monate nach der Machtübergabe an Wladimir Putin im Januar 2000 denunzierte seine ehemalige Universitätsdozentin eine Fernsehshow, die ihrer Meinung nach die Ehre des amtierenden Präsidenten verunglimpft hatte. Die Puppenshow „Kukly“, die seit Jahren im unabhängigen TV-Sender NTW lief, zeigte Wladimir Putin als einen Nervenarzt, der seine geistig behinderten Patienten mit einer Axt und einem Schweißbrenner zu behandeln versucht.
Forderung nach einem sittlichen Fernsehen
Bald schlossen sich den patriotischen Dozenten andere Stimmen an. So forderten 1.300 Arbeiter der Waffenfabrik in Tula in ihrem Brief an Putin ein „sittliches Fernsehen“. Die Kampagne gegen „Kukly“ und ein unabhängiges Fernsehen erinnerte so stark an die Sowjetzeit, (als die spontane Empörung der Werktätigen gegen die Regimekritiker vom KGB organisiert worden war), dass der Präsidentensprecher sich davon distanzieren musste.
Damals war die Pressefreiheit noch unantastbar, wie zu Zeiten Boris Jelzins. Die ständig betrunkene und etwas dämliche Jelzinpuppe in der „Kukly“-Show brachte den ersten russischen Präsidenten immer in Wut, dennoch ging das NTW regelmäßig auf Sendung. Die einflussreichen elektronischen Medien gehörten den so genannten Oligarchen, die, wie man damals scherzte, die Kremltüren mit einem Fußtritt zu öffnen pflegten.
Die Politik Boris Jelzins, insbesondere der erste Tschetschenienkrieg, wurde in ihren Zeitungen und Nachrichtensendern sehr kritisch begleitet. Die Unterstützung, die Boris Jelzin von den nichtstaatlichen Medien erhielt, war keinesfalls von den Medienmagnaten erzwungen. Die Journalisten waren sich darüber im Klaren, dass der Sieg von kommunistischen Jelzin-Gegnern das Ende der Redefreiheit in Russland bedeuten würde.
Noch während der Regierungszeit Jelzins gingen die mächtigen Regionalbehörden, die Staatssicherheit und das Militär daran, die Schrauben wieder anzuziehen. Ende der 90er-Jahre existierten kaum noch unabhängige Medien in der russischen Provinz. Mächtige Regionalfürsten ergriffen Repressalien gegen wenige unabhängige Journalisten und Bürgerrechtler.
1995 wurde in St. Petersburg der Journalist Alexander Nikitin verhaftet, der einer norwegischen NGO die angeblich geheime Dokumente über die Entsorgung der alten Reaktorblocks der russischen U-Boote übergeben hatte. Obwohl Nikitin diese Dokumente in einer Bibliothek ausgeliehen hatte, musste der Journalist jahrelang in Untersuchungshaft verbringen, bis er am 29. Dezember 1999 freigesprochen wurde.
Nur noch zwei Tage blieben damals bis zum Machtantritt Wladimir Putins. Wenig später – schon während der Regierungszeit Putins – nahm ein Prozess gegen einen Journalisten, der dem Fall Nikitins fast aufs Haar ähnelte, ein anderes Ende. Bereits 1997 hatte der Geheimdienst FSB im fernöstlichen Wladiwostok den Journalisten Grigori Pasko verhaftet. Ihm wurde vorgeworfen, dem japanischen TV-Sender NKH geheime militärische Dokumente übergegeben zu haben.
Zum Prozessauftakt, erzählte Paskos Anwalt, habe der Richter den Untersuchungsführer der Staatssicherheit aufgefordert, ihm Beweise für die Schuld des Journalisten vorzulegen, denn in der Akte finde er keine. „Ich bin überzeugt, dass er ein Spion ist!“, soll der Geheimdienstler geantwortet haben.
Mit einem solchen Rechtsbewusstsein konnte sich der KGB-Nachfolger FSB nicht durchsetzen, solange Boris Jelzin Präsident war. Dreimal sprachen die Gerichte Pasko frei, doch jedes Mal produzierte der FSB einen neuen Fall. Am 25. Dezember vorigen Jahres wurde Grigori Pasko im Gerichtssaal wegen Hochverrats festgenommen und in ein Straflager gesperrt.
Zum erstenMal seit Stalin
Zum ersten Mal seit dem Stalin-Terror brachte kürzlich der FSB zugleich fünf angebliche Spionagefälle vor Gericht, berichten Jelena Bonner und andere Bürgerrechtler. Doch ihre Warnungen können die russische Öffentlichkeit kaum noch erreichen. Seit der Sender TW-6 im Januar vom Netz genommen wurde, gibt es in Russland kein unabhängiges Fernsehen mehr.
Dem Regierungsfeldzug gegen die freien Medien fiel als erstes das NTW zum Opfer. Der Sender, der Putins Tschetschenienkrieg scharf kritisiert und sich in der „Kukly“-Show über den Präsidenten lustig gemacht hat, wurde dem Oligarchen Gussinski weggenommen und unter die Kontrolle der Regierung gebracht.
Die Journalisten des NTW beherbergten das TW-6, ein Überbleibsel des ebenfalls zerschlagenen Medienimperiums des Boris Beresowski. Aber nur für eine kurze Zeit. Das Oberste Schiedsgericht entzog TW-6 seine Lizenz, nachdem Putin, wie der liberale Politiker Boris Nemzow erfuhr, dem Gerichtsvorsitzenden die entsprechende Entscheidung persönlich nahe gelegt hatte.
Die wenigen russischen Printmedien, die unabhängig blieben, wagen es nicht mehr, den Präsidenten zu kritisieren. Es gab allerdings eine Journalistenzunft, die von der Medienpolitik des Kremls bis jetzt nicht betroffen war: die Korrespondenten ausländischer Sender und Zeitungen.
Als der dichtende Student aus Tscheljabinsk im August 2001 seine erste Klage eingereicht hatte, forderte er eine Berichtigung in der taz sowie ein Schmerzensgeld von 300.000 Rubel, umgerechnet ca. 10.000 Euro. Monate später veränderten sich plötzlich seine Forderungen radikal.
Die zweite Klageschrift wurde Klaus-Helge Donath nur wenige Tage vor dem Bericht in der amtliche Rossijskaja Gazeta überreicht. Sie liest sich wie eine staatsanwaltschaftliche Anklage. Auf drei dicht bedruckten Seiten wird ausführlich dargelegt, dass der taz-Korrespondent seinen Artikel mit der Absicht geschrieben hat, einen Bürger der Russischen Föderation und seine patriotischen Gefühle zu kompromittieren.
Schließlich folgt die Behauptung, Klaus-Helge Donath habe die Redefreiheit dazu missbraucht, den Präsidenten Russlands zu beleidigen. Der Schwere der Anklagen entspricht auch der erweiterte Forderungskatalog: Das Gericht soll das russische Außenministerium dazu auffordern, Klaus-Helge Donath nicht bloß seine Akkreditierung zu entziehen, sondern seinen Aufenthalt in der Russischen Föderation zu verkürzen.
Sollte das Gericht diese Forderungen unterstützen, wird es der erste Fall seit dem Zerfall der Sowjetunion sein, bei dem ein ausländischer Journalist für einen kritischen Artikel bestraft wird.
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