: Annan will mehr von Berlin
UN-Generalsekretär äußert sich vor dem Bundestag besorgt über prekäre Lage in Afghanistan.Er fordert einen größeren Beitrag vom deutschen Bruttosozialprodukt für langfristige Hilfe
aus Berlin BETTINA GAUS
Im Ton freundlich, aber in der Sache unüberhörbar besorgt hat UN-Generalsekretär Kofi Annan in einer Rede vor dem Deutschen Bundestag angemahnt, international versprochene Hilfsgelder für Afghanistan zu überweisen, und gefordert, das Mandat der ausländischen Soldaten zu verlängern. Wie prekär die Lage dort nach wie vor ist, geht aus einer Meldung hervor, die gestern fast zeitgleich mit Annans Rede bekannt wurde: Zum dritten Mal innerhalb eines Monats kamen britische Soldaten der UN-Schutztruppe in Kabul unter Feuer. Verletzt wurde niemand. In der ostafghanischen Provinz Nangarhar tauchten unterdessen antiamerikanische Flugblätter einer bisher unbekannten Gruppe auf, die zum heiligen Krieg gegen die USA und ihre Verbündeten aufruft.
Vor diesem Hintergrund gewinnt die Warnung des UN-Generalsekretärs vor einem zu frühen und zu schnellen Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan besonderes Gewicht. Kofi Annan beschränkte sich aber nicht auf den militärischen Teil des Friedensprozesses, sondern wies vor den deutschen Abgeordneten eindringlich auf den engen Zusammenhang zwischen der Konsolidierung der Lage und der Einrichtung demokratischer und ziviler Institutionen hin: „Was nützt der Aufbau einer effizienten Polizeitruppe, wenn es für die Verhafteten keine Gefängnisse gibt?“ Was nützten Gefängnisse ohne Gerichte? „Was nützen Wahlen, wenn die Kandidaten keinen freien Wahlkampf führen und die Medien nicht darüber berichten dürfen?“ Und was nütze es, Häuser für heimkehrende Flüchtlinge aufzubauen, wenn es keine wirtschaftliche Perspektive gebe?
Alle diese Aufgaben müssten in einer gemeinsamen Strategie gleichzeitig in Angriff genommen werden, erklärte der Friedensnobelpreisträger, der als erster UN-Generalsekretär zu einer Rede vor dem deutschen Parlament eingeladen wurde. Wenn auch nur für eine dieser Aufgaben die Mittel fehlten, drohten alle anderen ebenfalls zu scheitern. In dieser Hinsicht gibt es gegenwärtig allen Grund zur Sorge: „Obwohl erhebliche Beträge versprochen wurden, ist noch nicht genug Geld eingegangen“, sagte Kofi Annan. Er würdigte in diesem Zusammenhang zwar die deutsche Entwicklungshilfe, deren Mittel in absoluten Zahlen weltweit zur Spitzengruppe zählten, forderte die Bundesrepublik aber zugleich auf, „noch mehr für nachhaltigen Frieden und nachhaltige Entwicklung zu tun“ und künftig einen größeren prozentualen Anteil des Bruttosozialprodukts dafür zur Verfügung zu stellen. Gegenwärtig liegt er bei 0,27 Prozent.
Die Vereinten Nationen haben unterdessen die internationale Gemeinschaft zu zusätzlichen Hilfen von 1,18 Milliarden Dollar für das laufende Jahr aufgefordert, die über die auf der Afghanistan-Geberkonferenz zugesicherten 4,5 Milliarden Dollar hinaus aufgebracht werden sollen. Eine UN-Sprecherin in Kabul bezeichnete die Lage in der afghanischen Hauptstadt als verzweifelt. Ob die Geberländer den dringlichen Appell erhören werden, muss bezweifelt werden: In der Vergangenheit erhielten die UN kaum die Hälfte der erbetenen Spenden für Afghanistan, das seit vier Jahren unter einer Dürreperiode leidet. Und bislang ist selbst von den auf der Geberkonferenz versprochenen Mittel nur ein Bruchteil angekommen.
Kofi Annan betonte gestern ein weiteres Mal die Notwendigkeit eines langfristigen Engagements in Afghanistan. Gewiss stimmten heute alle darin überein, so meinte er, dass es besser gewesen wäre, wenn dem Land nach dem sowjetischen Abzug 1989 „nachhaltige Aufmerksamkeit“ geschenkt worden wäre, statt es in Anarchie versinken zu lassen. Da applaudierten die Abgeordneten spontan. Dann sagte der UN-Generalsekretär, es gebe auch andere Länder, deren Entwicklung in der Vergangenheit nicht genügend Beachtung gefunden hätte. Angola und Ruanda beispielsweise.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen