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Dr. Mabuses Patient

Der belgische Profiradsportler Frank Vandenbroucke ist erneut mit Doping erwischt worden. Die Schuld daran trägt er aber durchaus nicht alleine

von SEBASTIAN MOLL

Von außen betrachtet ist es nicht zu begreifen: Da gerät ein junger Radsportler, nach Expertenmeinung der talentierteste seines Landes, in eine Krise, weil er kurz nach seinem bis dato größten Erfolg mit zwielichtigen Dopingschiebern in Verbindung gebracht und von der Polizei in Gewahrsam genommen wird. Sein Ruf erleidet irreparablen Schaden, und der Vorfall setzt ihm derart zu, dass er sich fast drei Jahre nicht davon erholt. Schwere Depressionen treiben den jungen Mann vorübergehend sogar in stationäre psychiatrische Behandlung. Außerdem geht seine Ehe in die Brüche, und er verliert seinen Job als Berufsradfahrer. Dann bekommt er, mehr oder weniger unverhofft, doch noch eine Chance. Seine letzte, wie er selbst weiß. Und was tut er? Nach keinem halben Jahr bei seinem neuen Arbeitgeber lässt er sich mit denselben Leuten ein, die ihn schon beim ersten Mal um Kopf und Kragen gebracht hatten – und er kann wieder nicht von den Drogen lassen. Diesmal, so scheint es, ist die sportliche Laufbahn endgültig vorbei.

Die Geschichte des 27 Jahre alten belgischen Radprofis Frank Vandenbroucke, in dessen Haus die Polizei am Donnerstag Dopingmittel aller Art fand, klingt wie die eines Kriminellen, der in jungen Jahren auf die schiefe Bahn gerät und immer wieder rückfällig wird, weil er keine sozialen Alternativen zu dem Milieu hat, in dem die Kriminalität nun einmal Norm ist.

Als im Dezember 2000 in Frankreich dem Radsportteam Festina wegen systematischen Dopings der Prozess gemacht wurde, antwortete der frühere Leiter der Mannschaft, Bruno Roussel, auf die Frage nach den Chancen, im Radsport das Doping auszurotten: „Das ist nicht mit Leuten zu schaffen, die aus einem Milieu kommen, in dem Doping zur Kultur des Radsports gehört.“ Der Radsport reproduziere sich inzestuös selbst, führte Roussel aus, alle maßgeblichen Positionen sind von ehemaligen Fahrern besetzt. Die stillschweigende Übereinkunft, dass Doping dazugehöre, wird auch durch Außenseiter nicht gestört.

Bei Frank Vandenbroucke begann diese Kultur schon im Elternhaus. Er bekam seinen ersten Profivertrag bei dem Team, bei dem sein Vater Mechaniker und sein Onkel Manager war. Das ganze Leben der Vandenbrouckes drehte sich um den Radsport. Dass im belgischen Radsport Doping unter Fahrern, Betreuern und Fans in besonderem Maße toleriert wird, gilt in der Szene als Gemeinplatz. Spätestens seit der Masseur des Festina-Teams, Willy Voet, in seinem Buch über die im Profiradsport üblichen Praktiken der Dopingversorgung berichtet hat, ist die Bezeichnung „belgischer Pfleger“ in der Szene Synonym für einen Beschaffungskriminellen.

Als Frank Vandenbroucke 1999 den Ardennenklassiker Lüttich-Bastogne-Lüttich gewann, war er in Belgien ein Superstar. Dass er kurz darauf wegen seiner Verbindungen zum Dopingdealerring des als Dr. Mabuse bekannten französischen Pferdearztes Bernard Sainz vor ein französisches Gericht gezerrt wurde, hat ihn zutiefst verstört. Für einen, der so tief in der Radsportkultur verwurzelt ist, war und ist es unbegreiflich, dass er für die Mittel, mit denen er seine Leistung erzielt, zur Rechenschaft gezogen wird. In einem Moment zum Volkshelden gemacht, im nächsten als Krimineller vorgeführt, das war damals zu viel für ihn. Drei Jahre laborierte er an den psychischen Folgen, bewältigen konnte er sie nicht. Für das einfache Gemüt des Mechanikersohns gehörten Arzneimittel und schnell Rad fahren doch immer schon zusammen – und sein Umfeld hatte ihn stets in diesem Glauben bestärkt. Dass da ein Widerspruch sein sollte, konnten ihm auch die Psychologen nicht begreiflich machen.

So wandte sich Frank Vandenbroucke bei seinem Comebackversuch zu Beginn diesen Jahres offenbar wieder an seinen alten Bekannten: Dr. Mabuse. Der wurde am Donnerstag mit beträchtlichen Mengen von Amphetaminen im Kofferraum auf der Autobahn bei Gent gestoppt, er kam gerade von einem Hausbesuch bei Vandenbroucke. Dort fanden die Gendarme daraufhin Epo, Steroide und Morphine. Sowohl Sainz als auch Vandenbroucke wird nun in Belgien der Prozess gemacht. Vandenbrouckes Rennstall Domo, der neben dem Belgier auch den überführten Epo-Doper Richard Virenque nach Absitzen seiner Zweijahressperre beschäftigte, kündigte Vandenbroucke fristlos. Doch die wirtschaftliche Zukunft dürfte noch das geringere Problem sein. Die Resozialisierung des milieugeschädigten Drogenabhängigen wird für Sozialarbeiter und Psychologen eine weitaus härtere Nuss werden.

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