fatima morgana: Gemischtes Eis
In der dritten Generation
Mit sechs Jahren drang die nach Nationalitäten geordnete Außenwelt zum ersten Mal in mein Leben. Damals fragte ich meine Mutter: „Was bin ich? Du kommst aus der Türkei, Papa ist Berliner.“ Meine Mutter antwortete mir: „Wenn du Vanilleeis isst, welchen Geschmack hast du auf der Zunge?“ – „Vanille.“ – „Wie ist es bei Schokoladeneis?“ – „Natürlich Schokogeschmack.“ – „Und wenn du beides zusammen isst?“ – „Dann schmecke ich Schoko und Vanille. Ich weiß, ich bin ein gemischtes Eis“, sagte ich, das gefiel mir.
Das ist fast zwanzig Jahre her, und immer noch werde ich im Alltag mit Fragen konfrontiert wie: „Wo kommst du her?“ oder „Fühlst du dich mehr als Deutsche oder als Türkin?“ Man erwartet von mir, das eine oder das andere zu sein. Ich bin aber beides. Die durchdachten Gefühlsausbrüche und die systematische Organisation Berlins, die chaotische Gemütlichkeit und die hitzige Leidenschaft Istanbuls spiegeln sich in meiner Person wieder. Wie zwei Liebende, die sich nicht an ihren unterschiedlichen Charakterzügen aufreiben, sondern den Partner so anerkennen, wie er ist, und ihn einfach nur leidenschaftlich lieben. Wir, die dritte Generation, treten selbstbewusster als unsere Eltern auf und haben uns eigene Identitäten geschaffen. Wir sind Unternehmer, Schauspieler, Politiker, Sänger, Rechtsanwälte, Punks, Schriftsteller, Sozialarbeiter oder Sportler. Wir stehen nicht mehr zwischen zwei Kulturen, wir leben und lieben die Vielfalt – nicht als homogene dritte Generation, aber als in Deutschland aufgewachsene Jugendliche und Jungerwachsene.
Bei den immer wiederkehrenden Diskussionen über die „fremden“ kulturellen Identitäten frage ich mich, ob die Mehrheitsgesellschaft sich ihrer eigenen kulturellen Identität bewusst ist. Stellt sie nicht zu oft die eigene „kulturelle Identität“ über eine spiegelverkehrte Abgrenzung vom Bild der Minderheiten her? Die „Mehrheitsgesellschaft“ ist modern, weil die „Minderheitengesellschaft“ konservativ ist, die „Mehrheitsgesellschaft“ ist tolerant, weil die „Minderheitengesellschaft“ intolerant ist, in der „Mehrheitsgesellschaft“ ist die Emanzipation verwirklicht, während in der „Minderheitengesellschaft“ die Frauen unterdrückt werden.
Solange wir diese strikte Trennung zwischen „wir“ und „ihr“ nicht aufheben, werden wir in diesem Land keine Wärme geben. Daher ist es an der Zeit, diese Trennungen zu überwinden und gemeinsam einen solidarischen, vielfältigen, humanen Lebensraum zu gestalten. Und gemeinsam Eis essen zu gehen. GABRIELE GÜN TANK
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen