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Traumgleiten auf sanften Pfoten

Wer die Stadt erobern will, muss sie sich erradeln. Möglichst bei Sonnenschein. Möglichst gemächlich. Ansichten eines Oberbürgermeisters

Radfahrertypen gibt es verschiedene – und einen ganz besonderen, den Christian Ude in einem Buch etwas genauer in Augenschein genommen hat: den Flaneur im Sattel. Um das individualistische, quasi umherschweifende Wesen des Stadtradlers richtig würdigen zu können, hilft die Methode der Abgrenzung. Ein Stadtradler ist zum Beispiel keiner, der sich über die Vorzüge von geösten Hohlkammerfelgen, V-Brakes oder Federgabeln ereifern könnte. Interessiert ihn nicht. Rumschrauben, den Reifen flicken? „Am besten andere machen lassen.“

Nie und nimmer kann ein Stadtradler –- selbst in der Version des City-Bikers – ein Fahrradkurier sein. Das sind schließlich Leute zum Fürchten, „mit grimmigen Gesichtszügen und rollenden Augen“, denen man lieber hurtig aus dem Weg springen sollte. Nein, mit Mode und Mainstream hat der Stadtradler rein gar nichts am Hut. Also auch nichts mit Anstrengung und Leistungssteigerung. Natürlich weiß auch er, dass Radeln gesund ist. „Aber es ist uns wurscht. Und wir reden nicht darüber. Fitness nimmt man in Kauf, man hechelt ihr nicht nach, ist das klar?“

„Stadtradeln“ – so der Titel eines Büchleins, eines Pamphlets, einer Eloge von Christian Ude – ist ganz was anderes. Es ist Schönwetterradeln, wie der Münchner Oberbürgermeister unumwunden zugibt. Radeln aus purer Genusssucht. Die gemächliche Fortbewegung. Sich Zeit lassen. Anhalten, wo man will. Angucken, was man will. Grüßen mal hier, ratschen mal dort.

Ein passionierter Stadtradler wie Ude fährt damit in der Tradition der Flaneure früherer Zeiten, die scheinbar plan- und mühelos Berlin oder Paris durchstreiften – immer auf der Suche nach der anderen Sicht der Dinge. „Unser Gang durch die Straßen ist ein Traumgleiten, als brauchten wir nicht unsere Glieder zu regen“, heißt es bei Franz Hessel, einem der Literaten unter den Spaziergängern.

Christian Ude gleitet auf dem Rad durch München. Auch er auf der Suche. „Bilder mit dem Auge aufsaugen und die Morgenluft einer Gartenanlage einatmen – das ist auch so ein Privileg, das einem das Fahrrad verschafft.“

Und der gelernte Journalist erweist sich als der Literat unter den Stadtradlern. Zeigt seine Heimatstadt von ihrer schönsten Seite. A bisserl Schwabing, Englischer Garten, Monopteros, Isar, Biergarten – kennt doch jeder Tourist. Ude hat den anderen Blick. Einen kritischen, einen liebevollen Blick, der selbst seinen Eingeborenen Neues erschließen könnte. Sie müssten sich halt nur aufs Radl schwingen.

„Wir sind anders, wenn wir radeln“, so die Grundthese des Autors. Da der SPD-Mann indes auch ein alter Verwaltungshaudegen ist, kommt er nicht umhin, am velophilen Alter Ego auch anarchistische Tendenzen zu bemerken. Selbst beim eher gemütlichen Stadtradler! „Bei Rotlicht weiterfahren, wenn kein triftiger Grund entgegensteht? Natürlich würden Sie es tun.“ Kann man nichts gegen machen: „Rad fahren ist der Versuch, einmal nicht Hund, sondern Katze zu sein.“ Und die ist bekanntlich dressuruntauglich, ein frei umherschweifendes Wesen mit eigenem Kopf. HELMUT DACHALE

Christian Ude, „Stadtradeln“, dtv, 102 S., 8 €

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