: Ein schwarz-rot-goldener Taliban
Henryk M. Broder kämpft mit seinem neuen Buch „Kein Krieg, nirgends“ an der deutschen Heimatfront
Mit dem Einsturz des World Trade Center kollabierte auch die Kritikfähigkeit vieler Intellektueller. Henryk M. Broder beispielsweise sah das Ende der Welt heraufziehen und visionierte bereits ein „New York ist überall“. Zusammen mit Gerhard Schröder war er ganz versessen aufs Bombardieren und wollte allen „die Fresse polieren“, die nicht seiner und Bushs Meinung waren. Broder packte seinen Tornister, um in den Krieg zu ziehen, aber Scharping wollte ihn nicht, obwohl Broder als über Afghanistan abgeworfene Stinkmorchel größere Verheerungen unter den Taliban angerichtet hätte als das amerikanische Bombardement.
Im Spiegel philosophierte er dann über „Über die Neigung der Deutschen zur Selbstverachtung“, ein merkwürdig verworrener, inkohärenter, ja inkontinenter Aufsatz. Den Deutschen nämlich Selbstverachtung zu attestieren, ist ziemlich realitätsfern, und die Argumentation wird auch dann nicht schlüssiger, wenn Broder sich durch den Gebrauch des Wörtchens „wir“ ins deutsche Kollektiv mit einschließt. Eine Lüge enthielte das „Wir“, sagte einmal Adorno, in diesem Fall jedoch handelte es sich um die reine Wahrheit, weil Broder zum gewöhnlichen Mainstreamdeutschen mutiert ist. Und dem lässt sich vieles nachsagen, eines aber gewiss nicht, nämlich Selbstverachtung.
Hingegen seien die Amerikaner, so begeisterte sich Broder, von Selbstzweifeln frei: „Sie haben keine Hemmungen, ihr System für das beste der Welt zu halten, während wir vor allem damit beschäftigt sind, zu differenzieren und zu relativieren.“ Für diese geradezu entartete Differenzierungsmanie musste Günter Grass herhalten, dem Broder ankreidet, dass er die Springer-Presse boykottiert. Quel scandale! Man kann Monsieur Wichtig einiges vorwerfen. Dies jedoch ist durchaus ehrenwert. Als verwerflich lässt sich das nur betrachten, wenn man selber mit dem Rückgrat eines Regenwurms ausgestattet ist und alles mitmacht.
Immerhin hatte der Anschlag auf das WTC auch einen guten Zweck. Es inspirierte Broder zu einem Buch, das schon auf dem Umschlag schwarz-rot-goldene Gesinnung flaggt. „Kein Krieg, nirgends“ heißt es, und darin macht sich Broder über die „Angst“ in Deutschland lustig, während er selbst die etwas merkwürdige Befürchtung hegte, die Terroristen könnten als nächstes Berlin in Schutt und Asche legen, was ihn in derartige Panik versetzte, dass er sogar eine Einladung Michel Friedmans ausschlug. Und daran konnte man sehen, wie schlimm es wirklich um ihn bestellt war.
Auch an anderen Visionen litt Broder. Unmittelbar nach dem Anschlag sah er überall gleichgültige Menschen und diagnostizierte einen „erschreckenden“ Mangel an „Mitgefühl“. Eine Wahrnehmung der dritten Art, denn wenn man sich recht erinnert, hatte das Fernsehen seit den Durbrigde-Krimis der Sechzigerjahre nicht mehr diese Einschaltquoten. Die Deutschen waren so schockiert, dass sie wochenlang nicht mal mehr zum Einkaufen auf die Straße gingen, alle waren hundertprozentig Amerikaner, was bei einer schon immer die eigene Identität schwer befummelnden Nation etwas heißen will. Die Zeitungen tropften nur so vor Betroffenheit, und man musste sie nicht einmal auswringen. Doch offensichtlich wollte die Realität nicht so, wie Broder wollte. Umso schlimmer für die Realität.
Broders Realitätsverlust besteht in der standhaften Weigerung, einen Zusammenhang zwischen amerikanischer Außenpolitik und Dritter Welt zu sehen. In dieser Hinsicht hat er klasse Tipps parat, die selbst George W. Bush zu dumm wären: „Wenn man dem Terrorismus dauerhaft beikommen will, dann müssten die Staaten der Dritten Welt ihre politische Struktur ändern, statt immerzu die reichen Länder für ihr Elend verantwortlich zu machen.“ Bei dieser Einschätzung muss es ihm auch schleierhaft sein, woher der Antiamerikanismus kommt. Dennoch ist er selbstverständlich für genau diesen Punkt Experte. In einem Interview mit seinem Freund Hannes Stein in der Tageszeitung Die Welt antwortete Broder auf die Frage, was er für die „Wurzel des Antiamerikanismus“ halte: „Die europäischen Völker haben sich entweder von den Nazis zuficken lassen, oder sie haben kräftig mitgefickt. Dazwischen war wenig. Dann kamen die Amerikaner und lösten das Theater auf.“ Ich schätze, nach dieser umwerfenden Erkenntnis muss die Geschichte des Nationalsozialismus mal wieder neu geschrieben werden.
KLAUS BITTERMANN
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