: Twisten durch's Flacker-Weltbild
■ Bremer SchülerInnen interpretierten zeitgenössische Kunst mit John Travoltas Hilfe am besten – und gewannen 10.000 Mark
KünstlerIn ist nicht gerade ein häufig geäußerter Berufswunsch junger Leute. Zu unsicher die Aussichten auf eine rosige Zukunft. Gerade mal schlappe drei bis vier Prozent der AbsolventInnen von Kunsthochschulen können satt werden von ihrem Schaffen. Und selbst die können ein Klagelied vom harten Broterwerb singen...
Wie gut, dass es da den kunstpädagogischen Bundeswettbewerb „Jugend interpretiert Kunst“ gibt. Perfekter Motivator für SchülerInnen, in Berufskundlichen Blättern beim Arbeitsamt unter K wie KünstlerIn nachzuschlagen. Denn 10.000 Mark bringt der Deutsche Herold-Preis der Gewinnerklasse.
2001 wurde der Preis vom Bonner Verein „Stiftung Kunst und Kultur“ vergeben – und die SchülerInnen des Kunst-Leistungskurses vom Schulzentrum Alwin-Lonke-Straße holten ihn nach Bremen. Insgesamt 300 Schulklassen hatten sich beworben, von denen wurden schließlich 20 dazu aufgefordert, einen Wettbewerbsbeitrag zum Thema „Menschenbilder“ anzufertigen und einzureichen.
Während der Vorbereitungszeit besuchten die 20 Kurse das Museum Küppersmühle in Duisburg – hier fand die Ausstellung „Menschenbilder“ statt. Interpretationen des Themas von Joseph Beuys, Markus Lüpertz, Georg Baselitz, Stephan Balkenhol oder Anselm Kiefer waren Ausgangsmaterial für die weitere Beschäftigung.
Den Bremer SchülerInnen fiel an den Werken der berühmten Herren vor allem auf, dass alle trotz verschiedenster formaler Ansätze ein sehr ungeschöntes Menschenbild zeigen: Verbitterung, Zynismus, Trauer oder Zerrissenheit als bestimmende Attribute.
„Gefühle“ ist eine Videoinstallation, die aus zwei großformatigen Leinwänden und zwei schlichten, Holz-„Icosaedern“, das heißt „platonischen“ Körpern, die aus 20 gleichseitigen Spanplatten-Dreiecken besteht. In jedem der beiden steckt ein Videorekorder, per Beamer werden selbstgedrehte oder aus Filmen zusammengeschnittene Menschen-Bilder in schneller Abfolge auf die Wände geworfen.
Die linke Leinwand zeigt ausschließlich Erfreuliches: Lachende Schüler, ein verliebter Tom Cruise oder der legendäre „Pulp-Fiction“-Twist von Uma Thurman und John Travolta. Auf der anderen Seite dagegen nur Negatives: Uma alias Mia Wallace während der Überdosierung, der diabolisch grinsende Hannibal Lector aus „Das Schweigen der Lämmer“ oder eine Schülerin, die wenig nett ins Telefon brüllt: „Du bist so beschissen, Alter“.
Das Besondere an „Gefühle“ und letztlicher Grund für die Jury-Entscheidung (in der unter anderen die Künstler Abraham David Christian und Markus Lüpertz saßen) war die eindrucksvolle Vermischung von der eigenen privaten Lebenssituation der SchülerInnen und medialen Gefühls-Darstellungen von „Film-Größen“. Simultaneität und rasanter Wechsel von positiven und negativen Gefühlen entspreche nicht nur der virtuellen Medienwelt, sondern auch dem realen Leben von Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Das Wechselbad der Gefühle innerhalb der Installation stellt auch die Frage nach der Echtheit von Emotionen im Zeitalter medialer Beliebigkeit, in der jüngere Generationen das vom Bildschirm flackernde Weltbild als das „echtere“ oder zumindest interessantere wahrnehmen.
Nachdem der Preis bereits am 13. Dezember in der Küppersmühle von NRW-Kulturminister Michael Vesper verliehen wurde und „Gefühle“ mit den übrigen 19 Werken in dem Duisburger Museum zu sehen war, wurde die Installation vergangenes Wochenende für zwei Tage in der Bremer Kunsthalle präsentiert. Denkbar wäre nun eine Art Wanderausstellung aller Beiträge durch die Schulen oder Städte ihrer Herkunft, erzählt Kursleiter Thomas Blank. Das hätte – neben dem Kunstgenuss für die Betrachter – den Effekt, auch andere angehende KünstlerInnen zu motivieren.
Roland Rödermund
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen