: Das halblegale Kinderrad
Auf der Straße und auf Fußwegen ist Radfahren für übende Kleinkinder zu gefährlich und in Parks neuerdings verboten ■ Von Kaija Kutter
Hamburg ist kein Lebensraum für Kinder, das wird gerade wieder durch eine Schilderkampagne der Umweltbehörde offenbart. Kinder werden durch Verkehr und dichte Bebauung extrem in ihrem Bewegungsdrang eingeschränkt. Radfahren lernen, zum Beispiel, ist für viele nicht möglich.
Drehen sie auf dem Fußweg ihre ersten wackeligen Runden, besteht die Gefahr, dass die teure Lackschicht eines Autos zerkratzt wird oder ein PKW zu schnell aus einer Einfahrt prescht. Auf der Straße fahren dürfen und sollten Kinder nicht. Und im Park – den einzigen Arealen in der Stadt, aus denen Autos verbannt sind – ist Radfahren eine Ordnungswidrigkeit, die mit 37,50 Euro Geldstrafe geahndet werden kann.
So geht nicht mehr, was Familie K. in Ermangelung von Alternativen bis vor kurzem jeden Sonntag praktizierte: Kinderrräder rein in den Kofferraum und ab zum Stadtpark, wo der sechsjährige Sohn endlich einmal lebensgefahrenlos lernen konnte, ohne Stützräder das Gleichgewicht zu halten. Jetzt aber weist auch hier ein grünes Schild mit drei Symbolbildchen darauf hin, dass im Park Hunde angeleint, Müll in die Tonne geworfen und Räder geschoben werden müssen.
„Wir haben Probleme mit den Rasern, die am Wochenende in Kampfausrüstung da durchdonnern“, sagt Norbert Hansen vom zuständigen Bezirksamt Nord. Wenn am Wochenende bis zu 200.000 Menschen in den Park kämen, sei das ein Problem.
Entwickelt wurden die Schilder mit Graffiti-resistenter Folie vom Amt für Stadtgrün in der Umweltbehörde. Bis Ostern sollen 150 dieser Multifunktionstafeln auch in anderen Grünanlagen wie dem Altonaer Volkspark, im Harburger Stadtpark und dem Wandsbeker Eichtalpark aufgestellt werden. Glaubt man Heiner Baumgarten, Leiter des Amtes für Stadtgrün, so offenbaren die Piktogramme nur, was seit Inkrafttreten des Grünstättengesetzes von 1957 sowieso Gesetz ist. Baumgarten: „Radfahren ist nur auf den Wegen erlaubt, die dafür ausgewiesen sind.“ In der Vergangenheit seien diese durch blaue Schilder gekennzeichnet gewesen, „die leider oft geklaut wurden“.
So haben die neuen Schilder zwar alle das durchgestrichene Radfahrermännchen, weisen aber auch darauf hin, wo Biker gestattet sind – im Stadtpark zum Beispiel auf einem Rundweg und zwei weiteren Routen – etwa einem Viertel der Wege.
Die größten Sorgen, so Baumgarten, habe man am Alstervorland, wo es am Wochenende zu Konflikten zwischen Mountainbikern und Fußgängern komme. Seit geraumer Zeit schon dürfen Radler deshalb hier nicht am Ufer entlangfahren und müssen einen separaten Radweg an der Straße nutzen. Widersetzt sich einer diesem „Gebot“ und stößt mit einem Fußgänger zusammen, „ist er im Unrecht“, sagt der Grünamtsleiter.
Freilich steht nicht jeder, der in Hamburgs Parkanlagen seine Runden dreht, mit einem Bein im Gefängnis. Zum einen gibt es Velorouten – beispielsweise entlang der Wandse. Zum anderen wird das Radfahren in Grünanlagen „weitgehend toleriert“, wie Baumgarten sagt. Hat ein Parkwächter schlechte Laune, kann er aber wegen einer Ordnungswidrigkeit besagtes Bußgeld verlangen.
Für Familie K. könnte das auf Dauer teuer werden. Doch die Behörde hat für diesen Spezialfall – Kind lebt in Großstadt und will auch noch Radfahren lernen – eine halblegale Lösung. „Wenn ein Kind übt, das tolerieren wir natürlich“, sagt Baumgarten, „da drü-cken wir ein Auge zu.“
Ließe sich dafür nicht auch ein Symbolbildchen finden?
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