: Operation Optimismus
Nur noch 1,3 Millionen Deutsche reisten letztes Jahr in die USA. Doch auf der ITB in Berlin üben sich die Amerikaner wieder in professioneller Zuversicht. Ein Besuch des „See America Pavilion“
von TILL BARTELS
„Kommste mit nach Amerika?“ Die Halle 4.2 unterm Berliner Funkturm ist für Westberliner eine ideale Möglichkeit, die Vereinigten Staaten in ihrem ganzen Umfang kennen zu lernen – zumindest in der Form von Messeständen mit bunten Broschüren: Nur wenige Schritte sind es von Chicago nach North Carolina, in nur zehn Minuten schlendern die Besucher von der Ost- zu Westküste.
Die Vereinigten Staaten haben als einzige westliche Industrienation kein staatliches Fremdenverkehrsamt, gehören aber zu den größten Ausstellern. Wie jedes Jahr ist die USA-Halle zweigeteilt: in einen frei zugänglichen Außenbereich mit Ständen, Prospektauslagen und auskunftsbereitem Personal und in eine große Fläche im Zentrum, die „nur für Fachbesucher“ reserviert ist. Die Amerikaner zeigten Flagge: über 110 Stände mit knapp 300 Ausstellern. Das sind knapp 30 Prozent weniger als im Vorjahr, doch die Stimmung war von professionellem Optimismus geprägt. Die Situation wird nicht schöngeredet, die Einbußen sind signifikant. Nach den Anschlägen im September sanken die Ausgaben der Amerikaner für Reisen innerhalb der USA um 7 Prozent.
Für New York mit seinen 37,4 Millionen Besuchern im Rekordjahr 2000 gilt der Tourismus gleich nach dem Finanzgewerbe als wichtigster Wirtschaftszweig. Im letzten Jahr kamen 12 Prozent weniger Besucher, die 6,3 Milliarden Dollar (2000: 7,2 Milliarden) in der Metropole ausgaben. Inzwischen, so Crystine L. Nicholas vom New Yorker Fremdenverkehrsamt, seien die Hotels am Wochenende wieder gut ausgelastet, der durchschnittliche Zimmerpreis ist aber von 206 auf 187 Dollar gefallen.
Der Ansturm auf die Tickets für die Besucherplattform am Ground Zero ist gewaltig. Zurzeit reihen sich täglich 4.000 Menschen in die Warteschlange ein, um die Wunde zu sehen, wo einst die Doppeltürme des World Trade Centers standen. Ground Zero ist für die Touristenmanager längst Alltag. Die Kapazität wird bis zum Sommer auf 7.000 Tickets heraufgesetzt. Der Begriff des Sensationstourismus wird in der Unterhaltung allerdings vermieden, für Gefühle gibt es auf der Messe keinen Raum. Höchstens: „Wo warst du am 11. September, als es passierte?“
Bereits im Juni werden die Aufräumarbeiten abgeschlossen sein. Die Gestaltung der Narbe, ob Mahnmal, Rekonstruktion oder Neubau, spielt bei Gesprächen mit New Yorkern eine große Rolle. Gary Schweikert, Vorsitzender der Hotel Association of New York City, packt seine Botschaft für die ITB-Besucher in einen Satz: „New York wird mit schnellem Tempo wieder hergestellt.“
Dramatisch waren auch die Einbrüche im vierten Quartal 2001 für Florida. In Orlando, der Hauptstadt der Freizeitparks mit über 100.000 Hotelbetten, lag im letzten Quartal 2001 die allgemeine Auslastung 16 bis 18 Prozent unter der des Vorjahres. „Die Deutschen sind zunehmend preissensibel“, sagt Marion Wolf von Visit Florida. Gegenwärtig rollt der Bundesstaat Kalifornien mit einer Imagekampagne durch Deutschland. Statt Pichelsteiner Eintopf oder Lüneburger Sauerfleisch tischt das Mitropa-Team in 220 Speisewagen „California BLT-Sandwiches“ und Walnusscreme mit karamellisierten kalifornischen Wallnüssen auf.
Einen Überblick über die Situation im Lande bieten die Airlines. Sie können mit ihren Reservierungssystemen die Zukunft deuten und sprechen von einer Kehrtwende. Mit Preisangeboten wird der Markt stimuliert. Viele der im letzten Herbst eingestellten Routen werden ab April wieder beflogen und die Frequenzen erhöht. Aber: Ohne massive staatliche Subvention wäre längst der Pleitegeier das Wappentier der amerikanischen Luftfahrt geworden. Continental Airlines überstand die schweren Turbulenzen aber mit geringem Betriebsverlust. Laut Wall Street Journal machte die Airline den Einsparungswahn der Mitbewerber nicht mit, die vorübergehend sogar auf Snacks bei längeren Inlandsflügen und die Ausgabe von Decken und Kissen verzichteten. Die Hälfte der 12.000 entlassenen Continental-Mitarbeiter ist inzwischen wieder eingestellt.
Nach den beiden Fachbesuchertagen Anfang der Woche besucht Familie Jakoby aus Berlin-Reinickendorf mit der Schnäppchenkarte die ITB am letzten Tag. In Halle 4.2. klettern sie in ein riesiges Wohnmobil. Vati darf für eine Minute hinters Lenkrad und träumt vom Urlaub auf dem Highway im wilden Westen. „Den echten Trip nach Amiland kann sich unsereiner doch gar nicht leisten, bei dem hohen Dollarkurs.“ Mit ihren überquellenden Beuteln und Posterrollen ziehen sie weiter, nehmen im kalifornischen Restaurant Platz, gönnen sich einen Schoppen Chablis und sortieren die Reisekataloge. Am Eingang steht auf einem Schild nicht der amerikanische Spruch „Wait to be seated“, sondern „Take your pleasures seriously“.
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