piwik no script img

Modellstadt Happyland

Die 25. Bienal de São Paulo thematisiert die Iconografias Metropolitanas. Alfons Hug, erster nicht aus Brasilien stammender Kurator, sieht Städte, nicht Nationen als Ausgangsort der globalen Kunst

von HAJO SCHIFF

Weltweit wollen die etwa 50 Biennalen ihren jeweiligen Orten ein besonderes internationales Flair geben. Das ist bei der brasilianische Metropole São Paulo nicht nötig. Diese täglich wachsende Megastadt, in der unter anderem mehrere Millionen Bürger japanischer Abstammung leben, ist international genug. Fünf Millionen Autos fahren auf hunderttausend Straßen und nicht einmal die Bürgermeisterin weiß, wie weit die Einwohnerzahl schon über 18 Millionen gestiegen ist. „São Paulo ist das New York der südlichen Hemisphäre“, sagt Alfons Hug. Angesichts der über dreißigtausend Quadratmeter Ausstellungsfläche der von ihm verantworteten Biennale sowie der 33 Museen und mehr als 42 Galerien in der Stadt umschließt das auch die gerade in Europa wenig beachteten positiven Seiten der oft so gewalttätigen größten Stadt Südamerikas.

An diesem Ort erscheint es nahe liegend, die Großstadt selbst zum Thema einer Großausstellung zu machen: „Iconografias Metropolitanas“ (Ikonografien der Metropolen) hat Alfons Hug zum Thema der 25. Bienal de São Paulo gewählt. Damit hat der ehemalige Leiter verschiedener Goethe-Institute in Indonesien, Nigeria, Brasilia und Moskau sowie von 1994 bis 1998 der Verantwortliche für Kunst im Berliner „Haus der Kulturen der Welt“ einen hinreichend offenen Rahmen gesetzt, um 190 Künstlerinnen und Künstler aus 70 Ländern zu versammeln. Das Thema regte unter anderen Boris Groys, Hans Ulrich Reck oder Wole Soyinka zu Essays im dreibändigen, 900 Seiten starken Katalog zum Rundgang durch die sechs Fußballfelder große Ausstellungsfläche an.

Im Zentrum der mehrfach ausschwingenden Treppenanlage des von Oscar Niemeyer Anfang der Fünfzigerjahre entworfenen Ausstellungspalastes ragt durch alle Stockwerke eine scheinwerferbestückte, khakifarbene, auf 12 Meter Höhe fahrbare Beobachtungskabine. Die Arbeit des Schweizer Künstlers Fabrice Gygi steht an der Grenze, wo Sicherheit in Bedrohung umschlägt. Mag der europäische Besucher an die einstige innerdeutsche Grenze denken, dem brasilianischen sind die vor jedem besseren Mehrfamilienhaus befindlichen Glaskästen der Wachleute eine nähere Assoziation oder die Türme der restlos überfüllten, von Revolten und spektakulären Ausbrüchen bestimmten Gefängnisse. Im gleichen Kontext steht auch der dänische Beitrag: eine aufgebrochene und zur Hälfte um 90 Grad gekippte Gefängniszelle aus der Serie der „Powerless Structures“ der skandinavischen, in Berlin lebenden Künstler Ingar Dragset und Michael Elmgreen, die gerade auch in Berlin in die engere Auswahl zum diesjährigen Preis der Nationalgalerie gewählt wurden. Auch die mit weitaus weniger Aufwand erstellten, bis an die Decke reichenden Aussichtsplattformen/Wachtürme der kubanischen Gruppe „Los Carpinteros“ machen klar, dass der erhöhte Überblick weniger die weite Vision als eher Kontrolle und Unterdrückung bedeutet.

Um selbst die einfachsten bürgerlichen Lebensformen aufrechtzuerhalten, sind Sicherheitsfragen in den Metropolen eines der wichtigsten Themen – in São Paulo nimmt beispielsweise der Absatz gepanzerter Autos sogar bei Kleinwagen rasant zu. Werden dazu noch die Ereignisse vom 11. September reflektiert, liegt der lächelnde Zynismus nahe, mit dem die Brasilianer Isay Weinfeld und Marcio Kogan in phantastisch designte Militärklamotten gehüllte Hostessen um den Erwerb von Wohneigentum in der neuen Modellstadt Happyland werben lassen: Die bietet Hochsicherheitstrakte und gepanzerte Ausflugsschiffe, luxuriöse, schon als Ruinen gebaute Wohnblocks und Büros in einem Trade-Center, das die gleiche Fassade und die gleiche Kubatur wie jene New Yorker Türme hat, nur diesmal nebeneinander in die Horizontale gebaut. Doch nicht weit entfernt stehen die freundlichen Stadtfantasien von Bodys Isek Kingelez aus dem Kongo und daneben schwebt das Kristallmodell einer fliegenden Stadt, das Carsten Höller nach den Zeichnungen des russischen Futuristen Krutikow entworfen hat: Der utopische Aufbruchsgeist vom Anfang des letzten Jahrhunderts ist zwar müde geworden, klingt aber noch nach.

In der Kombination dieser Arbeiten mischt das Ausstellungskonzept nun glücklich die einst strikten Unterteilungen in Nationenbeiträge und diverse Sonderschauen, in die diese Biennale nach dem alten Vorbild Venedigs einst geteilt war. Auch wenn sich die Biennale-Stiftung erstmals in ihrer 51- jährigen Geschichte auf einen ausländischen Kurator einigen konnte, immer noch gibt es Kämpfe hinter den Kulissen um das Verhältnis von Entertainment und politischem Anspruch der Bienale, um Art und Umfang des brasilianischen Teils, um zu hohe Kosten, wie die der einmaligen Performance von Vanessa Beecroft mit 50 brasilianischen Modells oder um den Sinn spezieller Räume mit den Neo-Pop-Tafelbildern der Serie Easyfun-Ethereal von Jeff Koons, mit Großfotos von Andreas Gursky und Thomas Ruff, mit den schwarzweißen Gemälden von Juliao Sarmento oder den konstruktiven Bildern Sean Scullys. Traditionell hat Malerei einen hohen Stellenwert in Brasilien, nicht zuletzt, weil einst Max Bill mit konkreter Malerei die Tür zur Moderne in diesem Land öffnete. Das mag auch ein Grund sein, dass Deutschland mit Rupprecht Geiger den ältesten aller Künstler entsandt hat: eine Hommage an die reine Malerei.

Am interessantesten aber sind die Beiträge der „Elf Metropolen“: Peking, Caracas, Istanbul, Johannesburg, London, Moskau, New York, São Paulo, Sydney, Tokio, dazu Berlin mit den KünstlerInnen Franz Ackerman, Katharina Grosse, Olaf Metzel, Frank Thiel und Michael Wesely. Als visionären Ort hat Alfons Hug diesen Metropolen noch „Die 12. Stadt“ hinzugefügt. In dieser Auswahl finden sich immer wieder Künstler, die schon vor dem 11. September vor allem das katastrophische Potenzial urbaner Agglomerationen bearbeitet haben: Die terroristischen Angriffe in den montierten Fotos der in New York lebenden Kanadierin Nancy Davenport oder die weltweit in den Städten herumliegenden nackten Menschen der Fotoperformances von Spencer Tunick wirken nun umso eindringlicher. Dagegen sind die Versuche, direkt in die soziale Realität einzugreifen, auf der Skala zwischen Engagement und Pose schwer einzuschätzen. Ayse Erkmens gelungenes Favela-Projekt ist erst an übertriebener Kompromisslosigkeit der Künstlerin hinsichtlich der Hängung gescheitert, die komplexe, in der Form eines autonomen Museums gefasste Sozialarbeit von Maria Papadimitriou in einer Roma-Ansiedlung nahe Athen wertet die Improvisation zum Stil auf und Atelier Van Lieshout designt wie immer komprimierte Lebensmodule, hier einen kombinerten Sport- und Schlafplatz.

Überhaupt gibt es ja inzwischen eine besondere, politisch korrekte Art, Kunst zu produzieren, deren Autoren und Werke von Biennale zu Biennale weitergereicht werden, wenn auch immer ein wenig um den speziellen Kontext variert. Viele Biennalen handeln also weniger von der Globalisierung, sie sind das genaue Äquivalent ebendieser: Der aktuelle Kunstbetrieb als gehobene, oft vom jeweiligen Land abgehobene Airportart. Könnte die Brasilianerin Carmela Gross das kritisieren wollen, wenn sie mit einer großen Leuchtschrift das Ausstellungsgebäude zum HOTEL erklärt? Sicher kommt es auch auf die Zusamensetzung der Gäste an: „Es gibt es hier auf der Biennale mehr Kunst von Afrikanern, als es vermutlich auf der Documenta der Fall sein wird“, betont Alfons Hug. Doch es gibt in diesem internationalen Stelldichein einen Paria: China ist der Begriff der Nation so heilig, dass es mit scharfem politischem Druck seine „One Nation“-Politik durchgesetzt hat. So musste Chien-Chi Changs schon in Venedig gezeigten Fotos von aneinander gefesselten Heiminsassen der Status als nationale Repräsentanz Taiwans aberkannt werden.

In Krisen werden nationale Definitionen wieder wichtig: So versucht Mrdjan Bajic die schwierige Geschichte seines Landes in einem „YugoMuseum“ zu fassen, der Israeli Gal Weinstein baut für sein zerrissenes Land ein Ziegeldach, das von das Fassade des Austellungspalastes in zwei Teile getrennt wird und der Palästinenser Sliman Mansour zeigt das vergebliche Versprechen einer vor Trockenheit aufgebrochenen Erde, die mit Rosen bemalt ist. Dass in vernetzten Zeiten nationale und sonstige Zuordnungen eigentlich obsolet sind, zeigt der Österreicher Georg Paul Thomann. Der fiktive, als Person also nicht existente Künstler hat im Sinne des Networking in die nationale Einzelausstellung sein ganzes Netzwerk von Künstlerkollegen eingeschmuggelt und erfreut vor allem mit postmodern gehobenem Wiener Schmäh.

Ob die masochistische Darstellung völligen Kulturzerfalls samt Prostituiertenmord und Stadtmodell im Müllcontainer durch die Moskauer Künstler oder der Video-Wunschbrunnen von Joao Tabarra aus Portugal, die japanische Selbstmordmaschine von Aida Makoto oder der reine Lichtraum des Kinetikers Carlos Cruz Dias aus Venezuela: Die Ikonografie der Metropolen zeigt einen in jede Richtung offenen Möglichkeitsraum zwischen unzerstörbaren Hoffnungen und andauerndem Scheitern. Im Blick des Japaners Kimio Tsuchiya bleibt davon nach dem Weltuntergang ein Ruinenfeld, in dessen Mitte ein Stahlraum erhalten ist, mit hunderten anders gehender Uhren. Die Metroplen zeigen sich auf dieser Biennale als ein bis zur Schmerzgrenze ausgeweiteter Raum individueller Freiheit, schon an einem Ort kaum synchronisierbar und schon gar nicht global. Doch gegen zu triste Gedanken bietet das Land des Samba und des Karnevals eine ansteckende individuelle Lösung: Die Installation von Marcos Chaves demonstriert in Fotos und Sound, wie er sich fast zu Tode lacht.

25. Bienal de São Paulo, bis 2. Juni, www.bienalsaopaulo.org.br

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen