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Der Kreml putscht gegen die Roten

Nach dem Verlust der Kontrolle über mehrere Ausschüsse sind die Kommunisten im Parlament kaltgestellt. Auch Duma-Präsident Selesnjow wackelt. Damit versucht der Kreml, den innerparteilichen Streit anzuheizen und die Partei zu spalten

aus Moskau KLAUS-HELGE DONATH

Der Angriff kam aus heiterem Himmel. Nichts hatte auf ein Zerwürfnis hingedeutet. Kein Laut drang nach außen, obwohl am Blitzkrieg der Duma gegen die Kommunistische Partei (KPRF) viele beteiligt waren. Da waren Profis am Werk.

Angeführt von der kremlnahen Vereinigung Jedinnaja Rossija, putschten sechs Fraktionen gegen die Kommunisten. Den Verschwörern sekundierte die wirtschaftsliberale Union der Rechtskräfte (UdR) und Jabloko, jene Partei, die bisher peinlichst auf Distanz zum Kreml bedacht war. Am Ende hatten die Verschwörer den Kommunisten in sieben Ausschüssen den Vorsitz entrissen. Aus Protest legten die Abgeordneten auch die Leitung bei Kultur und Familie nieder.

Aus den Dumawahlen 1999 gingen die Kommunisten (KPRF) als stärkste Kraft hervor, die die Gunst der Stunde nutzte und mit der noch unerfahrenen, vom Kreml gesteuerten Retortenpartei „Jedinstwo“ alle Ausschussposten untereinander verteilte. Die Kommunisten beherrschten alles, von der Unternehmenspolitik über die Verteidigung bis zur Lage der Frau. Sie stellten den Dumavorsitzenden und den Chef des Verwaltungsapparates der Duma. Das bedeutete Zugriff auf erhebliche Finanzen.

Dass sich die leer ausgegangenen Fraktionen zur Revanche bereitfanden, ist verständlich. Warum der Kreml einen Krieg lanciert, gab zunächst Rätsel auf. Längst sind die Kommunisten Teil des Systems, bellizistische Attitüden haben sie seit Putins Regentschaft abgelegt. Die Fantasie versagt, seit sich die Partei gegenüber dem Geheimdienstmann und Kenner nationalkommunistischer Mythen behaupten muss. Zwar lehnte die Fraktion vier Fünftel aller Gesetzesvorlagen der Regierung im ersten Dumajahr bis 2001 ab. Doch betrieb die KP keine gezielte Blockadepolitik gegen den Kreml.

Die Wut der Honoratioren ist daher verständlich. Wie nie zuvor nahm KP-Chef Gennadi Sjuganow den Kremlchef ins Visier: Dessen Vorgänger Boris Jelzin hätte sich bei dringenden Fragen mit den Fraktionschefs immer getroffen, egal wie beschwipst er gewesen sei. Sjuganow will nun gegen die „gehorsam aggressive Mehrheit der Duma“ schärfste Opposition üben. Gesinnungsbruder Nikolai Charitonow warf dem Kreml „moralischen und politischen Terror“ vor.

Die Absicht des Kremls, nach dem Oberhaus nun auch das Unterhaus der „Vertikale der Macht“ zu unterwerfen, reicht nicht, um Zeitpunkt und Härte des Vorgehens zu erklären. Dass die Präsidialadministration die Feder führt, daraus macht selbst „Jedinnaja Rossija“ kein Hehl. Anlass soll eine vom Kreml in Auftrag gegebene Umfrage in den Regionen gewesen sein, die eine alarmierende Tendenz zutage förderte. Die Wählerschaft der Kommunisten wächst. 35 Prozent kann die KP verbuchen, nur 21 Prozent wollen der Partei der Macht ihre Stimme geben.

Überdies nimmt die Kritik an Präsident und Regierung in der regionalen Presse zu. Da die Medien meist von den Gouverneuren abhängig sind, folgert Moskau: Die regionalen Eliten gehen auf Distanz. Die Senatoren haben Putin die Entmachtung des Oberhauses 2000 nicht verziehen. Nun gilt es, einer Allianz zwischen kommunistischen Wählern und politischer Führung in den Regionen zuvorzukommen.

Ein effektiveres Mittel, als der Partei den Geldhahn abzudrehen, gibt es zurzeit nicht. Durch den Verlust der Ausschüsse ist die KP für Lobbyisten schon nicht mehr attraktiv. Verliert die KP auch noch den Vorsitz über den Verwaltungsapparat der Duma, mit einem Etat von 70 Millionen Euro, verschärft sich die Lage. Ein beträchtlicher Teil floss bisher in die Unterhaltung des kommunistischen Stabsquartiers und regionaler Dependancen. Offensichtlich soll die Partei zur Spaltung getrieben werden. Ein Bruch würde die Wählerschaft dezimieren und, so das Kreml-Kalkül, Teile der roten Klientel in die eigenen Netze treiben.

Als der zentristische Abgeordnete Alexander Fedulow bei der Staatsanwaltschaft einen Antrag auf Verbot der KPRF stellte und von Fraktionskollegen scharf gerügt wurde, entpuppte sich das Unternehmen endgültig als abgekartetes Spiel. Kein Hinterbänkler der Kremlpartei hätte, ohne höchsten Segen, einen derartigen Alleingang gewagt.

Heute sollen die Kommunisten über das Schicksal ihres Dumavorsitzenden Gennadi Selesnjow entscheiden. Der Kreml räumte ihm Schonzeit ein, nachdem auch ihm mit Absetzung gedroht worden war. Ein durchsichtiges Manöver: Der Streit über Selesnjow soll den innerparteilichen Zwist anheizen. Will die Partei ernsthaft Opposition sein, kann sie den weich gekochten Vorsitzenden in ihren Reihen nicht mehr dulden, meinte Sjuganow. Tut sie es dennoch, verspielt sie ihre Glaubwürdigkeit und reiht sich ein in den Kreis der „lenkbaren Demokraten“. Inzwischen sind es die Kommunisten, die die (formale) Demokratie an vorderster Front verteidigen.

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