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Autonomer Stellvertreterkrieg

Der Begriff Faschist wird wieder leicht gebraucht. Die linksradikale Szene ist über den Konflikt im Nahen Osten heillos zerstritten. Antiimperialisten formieren sich gegen Antideutsche. Die Antifa ist noch unentschieden. Showdown am 1. Mai?

von MARKUS MAXIMILIAN POHL

Die vermummten Angreifer kamen zu zehnt, von allen Seiten. Unter Rufen wie „Zionistenschweine“, „Nazis“ und „Gesinnungsjuden“ schlugen sie auf die beiden Männer mit Flaschen und Knüppeln ein. Auch dann noch, als die schon blutend am Boden lagen. Der Grund des Überfalls: Die Opfer hatten zuvor in der Rigaer Straße in Friedrichshain Plakate für die Palästina-Solidaritätsdemo am morgigen Samstag abgerissen.

„Aufgebrachte Antideutsche“ haben den Angriff Anfang April auf der linken Internetseite www.indymedia.org. öffentlich gemacht. Ob sich der Vorfall tatsächlich ereignet hat oder eine Erfindung ist, wie von zahlreichen Indymedia-Nutzern gemutmaßt, ist ungewiss. Bei der Polizei ist jedenfalls trotz einer angeblichen Anzeige nichts über die Körperverletzung bekannt.

Doch spätestens der gestrige Überfall auf eine israelfreundliche Veranstaltung im Neuköllner Lokal Orlando hat deutlich gemacht: Entlang der Konfliktlinien des Nahen Ostens tobt in Berlins linksradikaler Szene ein interner Stellvertreterkrieg, in dem Teile des propalästinensischen Lagers nicht davor zurückschrecken, körperliche Gewalt anzuwenden. Und Einiges deutet darauf hin, dass es am 1. Mai zum Showdown der verfeindeten Lager kommen könnte.

Auf der einen Seite sammeln sich die Rudimente der antiimperialistischen Szene: Gruppen wie dem Gegeninformationsbüro gilt Israel als Vorposten des Imperialismus, wer sich besonders weit vor wagt, spricht vom „israelischen Faschismus“. Die palästinensischen Selbstmordattentäter erscheinen dagegen als Aktivisten einer nationalen Befreiungsbewegung gegen die israelischen Besatzer.

In diesem Spektrum tummeln sich auch die Revolutionären Kommunisten, eine maoistische Splittergruppe, die sich durch layout-freie Flugblätter und einen ausgeprägten Hang zu Verschwörungstheorien auszeichnet. Glaubt man Augenzeugen, waren Mitglieder der Gruppe an dem gestrigen Überfall beteiligt.

Auf der anderen Seite: die antideutsche Szene rund um die Zeitschrift Bahamas. Hier ereifert man sich über einen „palästinensisch-islamistischen Faschismus“, in den Israel als Vorposten der Zivilisation rage. Die sich „antizionistisch“ gerierende Kritik an Israel gilt als Versuch der Entlastung von den deutschen Naziverbrechen, als kaum verhüllter Antisemitismus. Die Zeitschrift beschimpft die linken Palästina-Sympathisanten als „autonomen SA-Sturm“.

Seit Beginn der Al-Aksa-Intifada gewinnt der Streit zunehmend an Schärfe. Schon seit Wochen haben Palästina-Freunde das Gebiet um die Rigaer Straße mit der Parole „zionistenfreie Zone“ markiert, auf Diskussionsveranstaltungen werden israelfreundliche Beiträge mit „Nazis-Raus“-Rufen quittiert. Die linken Antiimperialisten scheuen auch nicht den Schulterschluss mit radikalen islamistischen Kräften: Auf dem gemeinsamen Ostermarsch verbrannten die eine mit einem Hakenkreuz bemalte Israelfahne.

Für die Demos am Samstag, wie auch zum 1. Mai in Kreuzberg, ist nun ein Palästina-Solidaritäts-Block angekündigt worden. „Intifada bis zum Sieg“ heißt die Parole. Schon vor dem gestrigen Überfall kursierte in der Szene die Ankündigung, wenn am 1. Mai Israelfahnen zu sehen seien, gebe es was „auf die Fresse“.

Doch auch auf Seiten der Antideutschen scheint man einem klärenden Schlagabtausch am 1. Mai nicht abgeneigt. „Keine Antisemiten auf dem Kreuzberger 1. Mai“ steht über einem von der Bahamas mit unterzeichneten Aufruf. Sollte es einen Palästina-Block auf der Demo geben, dann sei „antifaschistischer Handlungsbedarf angezeigt“, heißt es vieldeutig.

Bei gemäßigten Gruppen sieht man die drohende Konfrontation mit Sorge. Noch ist das Trauma der 1.-Mai-Demonstration von 1992 in Erinnerung, als sich autonome und maoistische Gruppen prügelten, bis die Polizei einschritt. „Wir hoffen, die Leute werden nicht so dumm sein, am 1. Mai gegenseitig übereinander herzufallen“, sagt Jakob Paul von der Antifaschistischen Aktion, die seit einigen Jahren die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration organisiert. Die Gruppe wendet sich im Nahostkonflikt gegen die kritiklose Solidarität mit einer der Parteien. „Aber natürlich verurteilen wir, wenn mit Reden vom angeblichen Vernichtungskrieg der Israelis die deutsche Vergangenheit entsorgt werden soll“, so Paul.

Peter Grottian, Initiator des Personenbündnisses für den 1. Mai und Mitglied beim Komittee für Grundrechte, spricht von einer „absurden Situation“. Mit 50 bis 70 Beobachtern will das Komittee die Demonstrationen am 1. Mai begleiten und Polizeiübergriffe verhindern. „Wenn jemandem unmittelbar Gewalt angetan wird, muss man Hilfestellung leisten“, sagt Grottian. Auf Schlägereien unter den Demonstranten sei das Komitee nicht vorbereitet. Mit Blick auf den Nahen Osten hat Grottian ein mulmiges Gefühl: „Wer weiß, was da bis zum 1. Mai noch alles hochkocht.“

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