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Für die tarifpolitische Revolution

■ Bremer Metaller demonstrierten gestern Solidarität mit den Stuttgarter Verhandlern. In Bremen einigte man sich auf gemeinsame Tarife für Arbeiter und Angestellte – ab 2008 für alle

Vom Tor eins der DaimlerChrysler Werke in Hemelingen begann gestern der große Demonstrationszug der Metaller zur Bürgerweide. „Wir streiken“, gaben die roten Plastik-Leibchen zu verstehen, mit denen viele der etwa 1.800 Demonstranten aus dem Bremer Osten gute zwei Stunden quer durch die Stadt marschierten. „Männer sind Schweine“ dröhnten Musikboxen auf dem Lautsprecherwagen – ein Opel. „Den stellt uns der Chef nicht“, ein lautes Lachen aus der Fahrerkabine.

„6,5 Prozent und keinen Cent weniger“ steht auf den Transparenten mit kleinen Mercedes-Sternen, das schrille Trillern der roten Pfeifen und die heulenden Sirenen machen Lärm für die Forderungen. „Die Arbeitgeber sollen endlich in die Pötte kommen“, sagt ein Vertreter eines Betriebsrats. Er hält eine geballte Faust aus Pappe in die Höhe und erklärt, da stehe die gesamte Frühschicht.

Von dem anderen großen Metaller-Betrieb im Bremer Osten der STN Atlas Elektronik, ist niemand mitgekommen. Der Grund: Das Unternehmen ist aus dem Arbeitgeberverband ganz ausgetreten.

Auf der Bürgerweide stoßen die Züge der Metaller aus der Neustadt und aus Findorff dazu. Von Airbus Bremen bis Gestra halten die Delegationen der Firmen ihre IG Metall-Fahnen hoch, die „IG Bauen Agrar Umwelt“ ist solidarisch dabei. Die Zahl der Demonstranten ist aber kleiner geworden, weil viele der Kollegen unterwegs abgebogen sind. „Wer zu Hause sitzt, unterstützt auch den Streik“, umschrieb das einer der Kundgebungsredner.

Die Metaller streiken für mehr Lohn, darüber wurde aber im Bremer Congress-Center überhaupt nicht verhandelt. Die Lohnhöhe wird in Baden-Württemberg entschieden, räumt IG Metall-Bezirksleiter Frank Teichmüller beim Pressegespräch ein. Und dort haben haben sich nach Angaben von IG Metall-Chef Klaus Zwickel die Fronten verhärtet. Der Abschluss in der Chemie mit einem Gesamtvolumen von 3,6 Prozent sei passend für diese Branche und die „unterste Abschlusslinie“ für nachfolgende Tarifverhandlungen in anderen Branchen, sagte Zwickel in Stuttgart.

Das Argument, ein höherer Abschluss passe schlecht in die konjunkturelle Landschaft, tut der norddeutsche Verhandlungsführer Teichmüller schroff ab: „Das interessiert uns nicht“, sagt er. Er ist „sehr skeptisch“, ob der angedrohte Streik noch vermieden werden kann: „Die Erwartungen der Kollegen sind sehr hoch.“

Geredet haben die Verhandlungsdelegationen um Teichmüller auf der einen, der Bremerhavener Unternehmer und Arbeitgeber-Vertreter Ingo Kramer auf der anderen Seite, über das komplizierte Thema „Entgeltrahmentarifvertrag“ (ERA) für die 180.000 Beschäftigten der Metall-Branche in Norddeutschland. Hinter dem bürokratischen Wort verbirgt sich eine tarifpolitische Revolution: Gewerbliche Arbeitnehmer und Angestellte sollen nach einem einheitlichen Tarifvertrag bezahlt werden. In der betrieblichen Wirklichkeit gibt es längst fließende Übergänge zwischen den Gruppen, die früher einmal Kulturschranken trennten. In der komplizierten Welt der Tarife trennen Gräben die beiden Gruppen. Allerdings bekommen gewerbliche Arbeitnehmer, die ähnliche Tätigkeiten haben wie Angestellte, derzeit meist über Zulagen die Differenz ausgeglichen. Diese Zulagen sollen schrittweise abgebaut, die Grundtarife dafür angehoben und vereinheitlicht werden. Für dieses komplizierte Reformwerk haben die Stuttgarter Tarifpartner einen Zeitrahmen bis 2008 gesetzt, der mit Modifikationen auch im Norden gelten soll.

Strittig war das Thema im Grundsatz zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften nicht. Strittig war auch nicht, dass die Entgelt-Stufen in Norddeutschland, denen die Mitarbeiter nach einem andern System zugeordnet werden als in Süddeutschland, insgesamt dazu führen, dass Metaller im Norden weniger verdienen als die, die in Baden-Württemberg dieselbe Arbeit machen. toe/K.W.

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