SACHSEN-ANHALT: DIE WICHTIGSTE FRAGE WIRD GAR NICHT GESTELLT: Schafft endlich unser Land ab
In Sachsen-Anhalt wird morgen über die falsche Frage abgestimmt. Wer das Land künftig regieren soll? Darauf würden viele der Menschen zwischen Stendal und Zeitz am liebsten antworten: Niemand. Statt einen neuen Landtag zu wählen sähen sie es am liebsten, wenn ihr ungeliebtes Bundesland endlich aufgelöst würde. Und es gibt keinen Grund, ihnen den Wunsch abzuschlagen.
Weder im Osten noch im Westen der Bundesrepublik findet sich ein zweites Bundesland, mit dem sich die Bürger so wenig identifizieren wie mit Sachsen-Anhalt. Gewiss: Nach dem Krieg galten auch Kunstprodukte wie Rheinland-Pfalz als „nicht lebensfähig“. Aber an Rhein und Mosel verhalf das Wirtschaftswunder zu neuem Selbstbewusstsein. An Elbe und Saale blieben solche Erfolgserlebnisse aus – und obendrein sind die Gegensätze größer. Genau in der Mitte wird Sachsen-Anhalt von der Sprachgrenze zwischen Nieder- und Hochdeutsch durchschnitten. Liebliche Weinberge im Unstruttal, norddeutsche Backsteindörfer in der Altmark: Solche Extreme gibt es sonst nirgends. Wirtschaftlich orientiert sich Halle ohnehin nach Sachsen, Magdeburg nach Niedersachsen. Der Nordostzipfel Sachsen-Anhalts zählte früher zu Brandenburg, der äußerste Süden zu Thüringen. Die Politik sollte all diese Wünsche respektieren – und die Landesteile den jeweiligen Nachbarländern zuschlagen.
Doch in Dresden oder Hannover, Potsdam oder Erfurt ist niemand begeistert von der Idee, sich eine weitere Krisenregion aufzuladen – und damit eine Fusionsdebatte anzustoßen, die womöglich auch das eigene Land zur Disposition stellt. Denn das wichtigste Argument für den Fortbestand der real existierenden 16 Bundesländer sind immer noch die Jobs, die in jeder Landeshauptstadt zu vergeben sind. Das gilt auch für Magdeburg.
Wer auch immer morgen die Wahl gewinnt: Auch die neue Landesregierung wird wenig Lust verspüren, sich selbst abzuschaffen. Und so kommt es, dass die eigentlich wichtigste Frage im Wahlkampf in Sachsen-Anhalt gar keine Rolle spielte. RALPH BOLLMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen