intershop: Lilly Brand über Polizeistrategien
Low intensity Intifada
Dass es die Polizei in Berlin zunehmend auf terroristisch aussehende Ausländer abgesehen hat, dürfte selbst der Blindeste inzwischen gemerkt haben. Sogar die Polizeiwerbeanzeigen selbst, mit denen die Behörde zum Beispiel V-Leute sucht, bestätigen das, indem sie mit der Sachleistung „eine Ausrüstung mit szenetypischen Accessoires wird gestellt“ immer den Kanak-Chic meinen.
In der Mittenwalder Straße mieteten die derart getürkten Polizisten unlängst eine ganze Parterrewohnung an, um von dort aus eine kurdische Jugendgang, die an der Kreuzung herumlungerte, zu überwachen. Und am Kottbusser Damm laufen die staatlichen Fake-Drogendealer allesamt als südosteuropäische Punker verkleidet herum. Während sie im Presse-Café am Zoo als albanische Junkies herumsitzen – um von dort aus am U-Bahn-Eingang zuzuschlagen. Dass sie unten in der U-Bahn einen eigenen Folterraum haben, wo sie die Festgenommenen „vernehmen“, wurde unlängst von einem Polizisten, der es wissen musste, persönlich in der taz bestritten. Inzwischen wissen wir aber, dass dort die männlichen Beamten zumindest gern weibliche Verdächtige „durchsuchen“. Unbestreitbar ist auch, dass ich neulich auf der kurzen Strecke vom Tempelhofer Flughafen zum Südstern nicht weniger als fünf polizeiliche Überfälle auf arabisch aussehende Mitbürger mitbekam: Mal hatten die Beamte zwei Jugendliche an die Wand gestellt, mal sogar zwölf Erwachsene. Sie, die Polizisten, werden immer lässiger und amerikanischer, aber das macht es nicht besser, sondern schlimmer: Früher gab es das jedenfalls nicht, das An-die-Wand-Stellen, Mit-Plastikhandschellen-Fesseln und Mit-Gummihandschuhen-Filzen. Damals orientierten sich die Polizisten auch noch an den „Polizeiruf 110“-Oberleutnants bzw. an den „Tatort“-Kommissaren und ihren Helfershelfern, heute kommen ihre Schulungsfilme dagegen durchweg aus Hollywood.
Am Dienstag, dem 9. April, kam es auf dem Wochenmarkt vor der Weddinger Nazarethkirche zu einem Polizeieinsatz. Zwei betrunkene junge Araber und ein Osteuropäer hatten am Stand des Korbflechters Stephan erst rumgepöbelt und dann einen von ihm gebauten kleinen Kinderwagen in Richtung Nazarethkirche geworfen, wobei sie eine Frau fast an den Kopf getroffen hätten. Diese rief daraufhin die Polizei. Zuerst versuchten die fünf herbeigeeilten Polizisten, den Kinderwagenwerfer zu beruhigen. Als der aber nicht aufhörte, sie zu beschimpfen, sprühten sie ihm kurzerhand Tränengas ins Gesicht. Er war sofort k. o. und fiel um. Im Fallen verletzte er sich an den Händen. Sofort stürzten sich zwei Polizisten auf ihn und legten ihm moderne Handschellen an. Als der Gefesselte aufzustehen versuchte, brüllte einer der Polizisten: „Liegen bleiben!“, und riss ihn an den Haaren wieder zu Boden. Dabei verletzte sich der Festgenommene auch noch am Kopf. Seine beiden arabischen Kumpel protestierten die ganze Zeit gegen diese „Bullenbrutalität“. Besonders einer, Alex, echauffierte sich derart, dass er schließlich einen der Beamten einen „blonden Nazi“ nannte. Der Beschimpfte geriet völlig außer Rand und Band – und nahm sofort Alex’ Personalien auf, um ihn wegen schwerer Beamtenbeleidigung zu belangen. Alex nahm es jedoch gelassen: „Meine Mutter ist Anwältin, meinte er, und zu den Polizisten gewandt: „Nicht wir, sondern ihr solltet hinter Gitter!“
Während dieses Vorfalls sammelten sich immer mehr Passanten drum herum. Viele waren anschließend der Meinung, dass die Polizei seit dem neuen Ausländergesetz immer brutaler gegen Ausländer vorgehe: „Sie versucht die immer mehr in die Enge zu treiben“, so sagte es einer. Ein anderer behauptete hingegen, dass die Ausländer hier im Vergleich zu anderen Ländern noch viel zu gut behandelt würden. So ähnlich sah das auch der betroffene Korbflechter Stephan.
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