GEWÄHLT WIRD, WER ALTERNATIVEN ZUR GROSSEN LINIE BIETET: Sachsen-Anhalt will es anders
Alles wie immer: Die Sieger der Landtagswahl sehen einen bundespolitischen Trend, die Verlierer nicht. Die Grünen müssen sich keine Sorgen machen, weil sie im Osten ja seit Jahren nicht viel reißen und in Sachsen-Anhalt trotzdem 1,3 Prozent mehr Stimmen bekommen haben als die Spaßpartei. Die SPD hält die eigene Lage auch nicht für besonders dramatisch. Was verständlich ist, denn Gerhard Schröder hat den unterlegenen Ministerpräsidenten Reinhard Höppner noch nie leiden können. Eigentlich lässt sich das Wahlergebnis also als Bestätigung für den Kurs des Kanzlers werten.
Dass CDU, PDS und FDP sich freuen, bedarf keiner weiteren Begründung. War sonst noch was? Ach ja, eine Wahlbeteiligung von 56,5 Prozent. Schade, schade und sehr Besorgnis erregend. Nächster Tagesordnungspunkt. Das Interesse der politischen Klasse hält sich in Grenzen.
Seit Jahren gelten die Wählerinnen und Wähler in Sachsen-Anhalt als unberechenbar. Das sind sie nicht. Vielmehr senden sie seit langem beharrlich dieselbe Botschaft aus: So nicht. So bitte wirklich nicht. 1998 waren Stimmenverluste der CDU als Abstrafung für die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl gewertet worden. Profitiert hat von diesem Ärger damals die rechtsextremistische DVU und nicht die sozialdemokratische Landesregierung. Deren Politik fand die Bevölkerung erkennbar schon vor vier Jahren nicht begeisternd.
Dieses Mal bot sich nun die Gelegenheit, mit einer einzigen Stimme den Unmut über beide Ebenen zugleich auszudrücken. Falls die SPD noch über ein Archiv verfügt, dessen Benutzung nicht wegen der Erinnerung an ihre Grundsätze verboten ist, dann sollten die Wahlstrategen mal reinschauen. Sie können daraus interessante Erkenntnisse über die bundespolitische Bedeutung von Wahlen in Sachsen-Anhalt gewinnen.
Die Bevölkerung des Bundeslandes mit der höchsten Arbeitslosigkeit ist nicht nur berechenbar, sie ist auch lernfähig. Die beiden ursprünglich großen Parteien CDU und SPD senden nämlich ebenfalls seit Jahren dieselbe Botschaft aus: Zur großen Linie gebe es keine Alternative. Die komplexe Gründe dafür ließen sich nicht jedermann erklären. Ein paar Stichworte müssten deshalb genügen. Globalisierung, Standort Deutschland, Europa. Zum Beispiel. Deshalb will der jeweilige Herausforderer des jeweiligen Kanzlers stets auch nichts anders, aber vieles besser machen.
Spitzenpolitiker haben eigentlich keinen Anlass, sich über ihre Glaubwürdigkeit zu sorgen. Die Bevölkerung glaubt ihnen durchaus, dass sich nach einem Machtwechsel nichts grundsätzlich ändern wird. Deshalb besteht das Hauptproblem des rot-grünen Lagers darin, dass seine Anhänger auch vor dem angeblichen Polarisierer Edmund Stoiber nicht mehr genug Angst haben, um davon mobilisiert zu werden. Immer mehr Leute haben am freien Sonntag etwas Besseres zu tun, als sich an die Urnen zu begeben. 56,5 Prozent! Wie gering darf eine Wahlbeteiligung eigentlich sein, bevor sie von der politischen Klasse parteiübergreifend für das wichtigste Ergebnis einer Wahl gehalten wird? 47,3 Prozent? 32,6 Prozent? Oder dürfen’s noch ein paar Gramm weniger sein?
Der Hinweis ist banal, dass regionale Besonderheiten für das Ergebnis einer Landtagswahl ausschlaggebend sind. Aber wenn sich ein Trend von Wahl zu Wahl bestätigt, dann reicht dieser Hinweis irgendwann für eine Analyse nicht mehr aus. Man will der Union ihre Freude über den jüngsten Wahlsieg ja nicht trüben. Die eigentlichen Sieger aber heißen FDP und PDS. Diese beiden Parteien sind die einzigen, die bei Wahlen kontinuierlich zulegen – oder doch wenigstens ihre Ausgangsposition auch in schwieriger Lage halten können. Alles Zufall?
FDP und PDS verbindet, allen politischen Unterschieden zum Trotz, eine Aussage: Sie behaupten, es gebe eine Alternative zur großen Linie. Man kann es mit Recht populistisch nennen, wenn die FDP behauptet, Steuersenkungen finanzierten sich wegen des daraus zwangsläufig erfolgenden Konjunkturaufschwungs praktisch von alleine. Man kann die Glaubwürdigkeit der antimilitaristischen Linie der PDS bezweifeln. Nicht zu bezweifeln aber ist der Wunsch eines beständig wachsenden Teils der Bevölkerung, bei Wahlen echte Alternativen angeboten zu bekommen. Solange dieser Wunsch nicht erfüllt wird, haben die Regierenden bei Bundestagswahlen schlechte Karten. BETTINA GAUS
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