: Terror hilft Privatknästen
Seit den Anschlägen steigt in den USA die Zahl der Häftlinge. Gefägniszellen werden knapp – und private Betreiber, eben noch in der Kritik, sind wieder gefragt
WASHINGTON taz ■ Gerade eben noch waren die ersten US-Bundesstaaten dabei, die Privatisierung ihrer Gefängnisse rückgängig zu machen. Zu schlecht war deren Image, zu laut die Klagen über Misswirtschaft der Betreiber. Doch dann kam der 11. September. Die US-Regierung hat seitdem tausende von Menschen inhaftiert, die des Terrorismus verdächtigt werden. Nun steigt die Nachfrage nach Gefängnisszellen wieder – doch der Staat hat kein Geld für Neubauten.
Also füllen sich die Auftragsbücher von CCA, einem der beiden Pioniere der Branche, wieder. Die Aktienkurse, Ende 2000 noch auf dem Tiefstand, steigen. Der Konzern Corrections Corporation of America (CCA) besitzt einen Marktanteil an der Gefängnisindustrie von 50 Prozent, der andere große im Geschäft ist Wackenhut Inc. mit 25 Prozent.
Seit Mitte der 80er-Jahre wurde ein Teil der US-Gefängnisse an Privatunternehmen verkauft, die nicht mehr nur einzelne Serviceleistungen, sondern das komplette Management übernahmen. Damals waren viele Haftanstalten hoffnungslos überfüllt. Die staatlichen Betreiber sahen sich außerstande, die wachsende Nachfrage nach Zellen zu befriedigen.
Zwei Millionen Menschen leben in Amerika hinter Gittern – mehr als in jedem anderen Staat der Erde. Auf 100.000 Einwohner kommen 690 Gefangene, in Westeuropa sind es zwischen 60 und 130. Die Zahl der Häftlinge in den USA hat sich in den vergangenen 20 Jahren verdoppelt, obwohl die Kriminalitätsrate über den gleichen Zeitraum insgesamt gesunken ist. Immer mehr Personen werden jedoch immer schneller und immer länger eingesperrt.
Die Privatisierung führte zum größten Gefängnisbau-Boom in der US-Geschichte. 21 Milliarden Dollar wurden seither pro Jahr für den Neu- und Ausbau von Haftanstalten ausgegeben. Heute werden 154 Gefängnisse privat betrieben. Jeder zehnte Häftling sitzt seine Strafe in einer privaten Anstalt ab.
Die Privaten behaupten, 20 Prozent der Kosten staatlicher Haftanstalten einzusparen. „Wir sind flexibler, moderner und damit konkurrenzfähiger“, sagt CCA-Sprecherin Susan Hart. Straffe Regeln und veraltete Technik würden die Effizienz der öffentlichen Anstalten verhindern. Auch werden bei den Privaten nur Arbeitskräfte angeheuert, die nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Das drückt den Lohn. Dank moderner Überwachungsmethoden benötigen die neuen High-Tech-Gefängnisse zudem weniger Personal.
Doch die schöne neue Gefängniswelt hat in den letzten Monaten für Schlagzeilen gesorgt. Mordfälle häuften sich, Verbrechern gelang die Flucht, Vorwürfe gegen erniedrigende Praktiken von Aufsehern wurden erhoben und Haftanstalten wurde Missmangagement nachgewiesen. Das Justizministerium widerlegte außerdem in einer Studie das vollmundige Versprechen massiver Kostensenkung. Es ließen sich kaum Unterschiede im Management zu staatlichen Gefängnissen feststellen; höchstens 1 Prozent der Kosten würden eingespart. Gegner der Privatisierung führen zudem ins Feld, dass sich das Geschäftsinteresse nicht mit dem sozialen Interesse an Prävention und Reintegration vereinbaren lässt. Die Gefängnisbetreiber wünschen sich volle Zellen und lange Haftzeiten, das erhöht ihren Gewinn.
Doch selbst wenn irgendwann einmal weniger neue Gefängnisse gebaut werden sollten, müssen Firmen wie Wackenhut nicht um ihre Zukunft bangen. Ihre Haftanstalten müssen unterhalten werden – ein Geschäft, das allein 40 Milliarden Dollar Jahresumsatz erbringt. Die Gefängnisindustrie ist ein sich selbst nährender Koloss geworden. Wer heute Elektrozäune aufstellt, liefert morgen durchsichtige Zahnpastatuben. MICHAEL STRECK
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