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„Es geht um mehr Genuss“

Da die Qualität der Lebensmittel sich immer weiter verschlechterte, musste Slow Food Deutschland zum Erfolg werden, meint Eberhard Spangenberg, der 1992 die Genussbewegung gründete. Für die Zukunft wünscht er sich: längere Mittagspausen

Interview SABINE HERRE

taz: Sie haben 1992 Slow Food Deutschland gegründet. Damals zählte die Organisation 150 Mitglieder, jetzt sind es über 5.000. Sieht eigentlich nach einer Erfolgsgeschichte aus. Tatsächlich ging es aber erst in den letzten Jahren steil bergauf.

Eberhard Spangenberg: Mitte der 90er-Jahre haben wir den Sprung von einem Hobbyverein zu einer professionellen Organisation geschafft. Ganz wichtig waren damals Bücher wie etwa der Führer durch die italienischen Osterien. Da wurde die Idee von Slow Food – regionale, jahreszeitliche Küche, gemeinsames Essen, die Mama kocht – am besten deutlich. Der Bazillus von Italien ist damit nach Deutschland gesprungen. Unsere lokalen Gruppen, die Convivien, wurden stärker. Der Vorstand arbeitete besser zusammen als in den Jahren zuvor. So entwickelte sich Slow Food zum Selbstläufer. Und vor allem: Auch unsere Inhalte wurden immer aktueller.

BSE und andere Lebensmittelskandale?

Nicht nur. Wichtiger ist wohl, dass wir gesehen haben, wie sich das Angebot in den Supermärkten, in den Kantinen ständig weiter verschlechterte. Da stellt sich die Frage einer genussvollen Ernährung dann ganz von selbst.

Wie hat sich Slow Food in diesen zehn Jahren verändert?

Am Anfang gab es viel Streit über das Verhältnis zu unserem italienischen Mutterverein. Die einen meinten, wir könnten ohne Italiener nicht existieren, von dort kämen die inhaltlichen Impulse und natürlich auch das Geld. Die anderen sagten, die Italiener würden uns für kommerzielle Ziele nutzen, zur Propagierung ihrer Produkte. Jetzt sind wir viel unabhängiger von den Italienern geworden. Andererseits gibt es inzwischen zu viel Bürokratie, das zeigen auch die Anträge für die Mitgliederversammlung, die die Rolle der lokalen Gruppen genauer regeln wollen. Am wichtigsten aber ist: Unsere Idee hat sich in konkreten Projekten niedergeschlagen. Es gibt das Arche-Projekt, das vom Verschwinden bedrohte Lebensmittel schützt. Und es gibt die Geschmackserziehung für Kinder.

In Italien hat Slow Food 35.000 Mitglieder. Ist Slow Food Deutschland nicht weiterhin ein etwas elitärer Zirkel?

Man muss den Dingen Zeit lassen. Eben „slow“ sein. In Italien gibt es eine größere spontane Begeisterung. Die Italiener denken weniger in Kasten. Bei uns sind die einen die Erzeuger, die anderen die Händler, die dritten die Verbraucher. Die vierten die Politiker. Und keiner will mit dem anderen zusammenarbeiten. In Italien setzt man sich an den runden Tisch, isst und trinkt gemeinsam und überlegt, was man machen kann.

Und die Italiener sind bereit, mehr fürs Essen auszugeben.

Eine der Messages von Slow Food müsste sein: Qualität kostet. Doch das ist ein Lernprozess, bei dem man die Leute unten abholen muss. Wir brauchen eine Schule für Qualität.

Müsste Slow Food nicht politischer werden? Kampagnen für besseres Essen machen?

Einerseits ist es gut, dass es in den letzen Jahren gelungen ist, Kontakte zur Politik aufzunehmen, zu Renate Künast oder Bärbel Höhn etwa. Ich finde es aber gar nicht so wichtig, dass es immer mehr gesetzliche Vorschriften gibt, was auf Etiketten zu stehen hat. Uns geht es um die Förderung von Genuss. Unsere Ziele können nicht von Politikern, sondern nur von Menschen in ihrem Alltag verwirklicht werden. Kochen Mütter Babynahrung aus frischem Biogemüse? Was bekommt mein Kind im Kindergarten? Gibt es in den Betrieben Mittagspausen, die lang genug sind für eine vernünftige Mahlzeit? Diesen Konflikt habe ich auch, weil meine Mitarbeiter statt der angebotenen Stunde nur 30 Minuten wollen. Bis sie sich an unsere gemeinsame Mittagspause gewöhnt hatten.

Wie wird Slow Food in zehn Jahren aussehen?

Ich denke, dass die Mitgliederzahl mit einer ähnlichen Geschwindigkeit wie in den letzen zwei Jahren wachsen wird. Dann wird es wohl auch gelingen, einen Gasthausführer für Deutschland herauszugeben.

Angesichts der politischen Rechtswende in Italien erwarten manche bereits eine Abkehr von der Slow-Food-Mutter und der italienischen Küche.

In München sind von 4.000 Restaurants 600 bis 700 Italiener. Die italienische Küche ist eine sehr moderne. Gute Rohstoffe, einfache Behandlung, viele Vitamine. Davon kann man sich einfach nicht loslösen. Andererseits haben die Italiener auf politischem Gebiet überhaupt keine Kultur. Sie haben Berlusconi ja nicht aus Versehen zum Premier, sie haben ihn gewählt. Das macht auch die Zusammenarbeit mit ihnen schwierig. Sie sind sehr provinziell, sehr chauvinstisch. Aber trotz Berlusconi ist Pasta mit Tomatensoße einmalig. Und: Slow Food ist in seinem Ursprung eine linke Bewegung. Nach langer Abstinenz hat auch die Linke den Genuss entdeckt.

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