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Torschlusspanik bei IG Metall

Ab heute Streik in Baden-Württemberg: Gewerkschaft befürchtet Ausperrungen auch im Norden. Betriebsbesetzungen kein Tabu mehr. Task force gebildet

Der Tarifkonflikt in der Metallindustrie geht in die heiße Phase: Obwohl das IG Metall-Flaggschiff „Streik“ zunächst den Norden umschifft hat, könnten die Ausläufer der Streikwellen schnell auf die Küste überschwappen – durch Aussperrungen. Bis zu 20.000 Beschäftigte könnten dadurch ab Wochenmitte mittelbar in den Streik involviert werden. Um Aussperrungen abzuwehren, ist für die IG Metall-Strategen die Betriebsbesetzung kein Tabu mehr, in einigen Regionen sind „Task force“-Einheiten gebildet worden.

Ausperrungen können in zwei Formen angewandt werden: Die „heiße“ Form bedeutet, dass bewusst Beschäftigte, die nicht direkt in den Streik involviert sind, vor die Tür gesetzt werden. Das greift die Gewerkschaft vor allem finanziell an, weil sie für die Ausgesperrten Streikgeld zahlen muss.

Im Norden wird aber vor allem die „kalte Aussperrung“ als Problem gesehen. Damit sind Produktionsstilllegungen aufgrund der Fernwirkung von Streiks gemeint: Die Produktion eines Betriebs wird lahmgelegt, weil Kunden wegen des Streiks die Produkte nicht mehr abnehmen oder Zulieferer nicht mehr liefern. Vor allem wegen der mittlerweile in der Branche üblichen „Just in time“-Produktion kann dieser Effekt binnen weniger Stunden vorgetäuscht auftreten.

Das Tückische: Die Betroffenen bekommen nach der Novellierung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) kein Kurzarbeitergeld mehr. Die Gewährung von Streikgeld hingegen ist gesetzlich untersagt. Das finanzielle Risiko trägt damit jeder einzelne Arbeiter.

Zwar hatte SPD Chef Gerhard Schröder vor dem Regierungswechsel versprochen, den von der CDU-Vorgängerregierung eingeführten AFG-Paragraphen binnen hundert Tagen wieder abzuschaffen – aber selbst ein Ex-IG Metall Vize-Chef Walter Riester als Minister verdrängte dieses Versprechen binnen 99 Tagen Regierungsmacht erfolgreich.

So sind Aussperrungen als Arbeitskampfwaffe der Unternehmer den Gewerkschaften ein Horror geblieben. Zwar gibt es mittlerweile durch Gerichtsbeschlüsse gewisse Beschränkungen – doch in Vorbereitung der diesjährigen Tarifrunde denken die Metall-Bosse offen darüber nach, diese bewusst zu brechen.

Kai von Appen

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