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Mehr Kinder, mehr Stimmen

16 Millionen junge Deutsche ohne Wahlrecht. Ein Skandal? Um Kindern mehr Einfluss zu verschaffen, bildet sich mal wieder eine bunte Allianz für das Familienwahlrecht

BERLIN taz ■ Als ahnten sie bereits, dass den vollmundigen Wahlversprechen für Familien wenig Taten folgen würden, werben die eifrigsten unter den Familienpolitikern dieses Jahr mal wieder für ein „Familienwahlrecht“. Der Familienverband will es ebenso wie Roman Herzog und Rainer Eppelmann (CDU), Renate Schmidt oder Lore-Maria Peschel-Gutzeit (SPD).

Das Wahlvolk wird immer älter, die Lobby für die Kinder damit immer dünner – so eines der Argumente für das Familienwahlrecht –, da wäre es nur gerecht, mit dem Satz „Alle Gewalt geht vom Volke aus“ mal Ernst zu machen und auch die Kinder wählen zu lassen. Ein Mensch – eine Stimme? Nicht direkt. So viel Demokratie wollen die Kinderrechtler den Knirpsen nicht zumuten. Die Eltern sollen für sie mitwählen. Eltern mit drei Kindern hätten also nicht zwei, sondern fünf Stimmen. Das hält die ehemalige Hamburger Justizsenatorin Peschel-Gutzeit durchaus für verfassungskonform, schließlich sei es erlaubt, seine Stimme mittels einer „Vertrauensperson“ abzugeben.

Mit 16 Millionen mehr Stimmberechtigten hätte sich damit die schönste Kinderlobby gebildet, so das Kalkül. Denn die Eltern, meinen die vereinigten MenschenfreundInnen, geben die Kinderstimmen der Partei, die am meisten für die Kleinen bietet. So jedenfalls die Hoffnung.

Aber tun die Eltern das auch? Wer garantiert, dass Eltern nicht nach ganz anderen Interessen abstimmen als nach denen ihrer Kinder? Was tut der CSU-Wähler, dessen 17-jährige Tochter ihn bittet, für sie die Grünen zu wählen? Wer von den Eltern stimmt für das Einzelkind?

Einzelne katholische Gemeinden praktizieren das Familienwahlrecht bei ihren Pfarrgemeinderatswahlen. Doch ob da Herr Müller oder Frau Meier die Übungszeiten des Kinderchors festlegen, ist vielleicht doch weniger ausschlaggebend als die Zusammensetzung des Bundestages. Auch dass die rechtsextremistische Front National in Frankreich das Familienwahlrecht seit langem propagiert, lässt aufhorchen: Populismuspotenzial ist augenscheinlich vorhanden.

Das größte Problem liegt wohl in der Halbheit des Vorschlags: Kinder sollen ein Wahlrecht haben, aber ausüben dürfen sie es nicht. Damit ist die Wahl nicht „allgemeiner“ als zuvor. Sie nähere sich eher wieder dem preußischen Dreiklassenwahlrecht an, bemerkte denn auch die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion im Bundestag, Hanna Wolf. Zudem entmündige das Familienwahlrecht die Kinder, weil andere stellvertretend für sie handelten.

Wolf findet Vertretungen besser, in denen die jungen Leute ein direktes Mitspracherecht haben. Über Jugendparlamente beispielsweise könnten sie geeigneten Einfluss auf die Politik in ihrer Region nehmen.

HEIDE OESTREICH

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