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„USA sind der bequemere Partner“

Sergej Karaganow, Experte für russische Außenpolitik, über die Chance einer Annäherung zwischen der Nato und Russland,die Beziehungen Moskaus zu Europa und den Widerstand von Teilen der außenpolitischen Elite gegen eine Westorientierung

Interview KLAUS-HELGE DONATH

taz: Könnte der von der Nato und Russland neu geschaffene 20er-Rat Basis eines neuen Sicherheitssystems werden?

Sergej Karaganow: Es wäre Zeit, ein neues globales Sicherheitssystem aus der Taufe zu heben, an dem die führenden Staaten des Westens und Russland gleichermaßen beteiligt sind. Doch ist weder der Westen noch ein wesentlicher Teil unserer Elite dazu bereit, Präsident Putin und seine Umgebung ausgenommen. Daher ist diese Initiative zunächst nur ein Feigenblatt, um die Osterweiterung der Nato zu bemänteln. Man kann sich dazu abweisend verhalten. Ich lehne das ab, weil diese Initiative als Übergangslösung beide Seiten einander näher bringen kann. Die Nato-Russland-Grundakte 1997 hatte zwei Mängel: sie ebnete der Osterweiterung den Weg, sah aber keinen Mechanismus vor, der Nato und Russland zur Kooperation angehalten hätte. Der 20er-Rat wird die Funktion haben, Misstrauen abzubauen.

Muss Russland die Nato-Osterweiterung noch fürchten?

Wir haben die Erweiterung nie gefürchtet. Es geht um das damit zur Schau gestellte Misstrauen, die Fortschreibung einer atmosphärischen Belastung. Sollten die baltischen Staaten aufgenommen werden, wird sich das noch negativ auf einen Teil der politischen Elite auswirken.

Wird die Verzahnung im 20er-Rat neutralisierend wirken?

Wenn Russland Teil des Paktes wird, verliert die Nato für 90 Prozent der Mitglieder jegliche Bedeutung. Für uns ist die Transformation von Nutzen. Trotz allem wird sich die Nato dem Alterungsprozess nicht entziehen können und zerbröseln. Unsere wichtigste Aufgabe ist es, dieser Doppelrolle zu entkommen, Gegner und Partner zu sein. Es ist an der Zeit, dass wir echte Partner des Westens werden.

Ist der außenpolitische Kurswechsel Richtung Westen seit September von Dauer, kann Putin ihn durchhalten?

Die Umorientierung hat bereits vor dem 11. September stattgefunden. Putin hat 99 die Annäherung an die EU zur Priorität erhoben. In den USA ist das eher wahrgenommen worden als in Europa. Gleichzeitig haben wir uns auch um gute Beziehungen zu Washington bemüht. Putin hat im richtigen Moment die Chance zur Annäherung und Integration ergriffen. Sie ist strategisch und besteht aus taktischen Schritten. Es kann sein, dass der Prozess sich verlangsamt oder auch vorübergehend einschläft. Alles in allem ist diese Entwicklung für Russland von Vorteil.

Und der Widerstand in den Eliten …?

Die Abwehr in der Elite speist sich aus traditionellem Misstrauen. Das neue kapitalistische Establishment fürchtet Öffnung und Westintegration, weil seine Produkte nicht konkurrenzfähig sind. Noch leben wir in einer halb kriminalisierten Wirtschaftsordnung. Die außenpolitische Elite will sich auch nicht umgewöhnen, mit der EU müsste sie kleine, aufreibende Detailfragen klären, sie will aber am „großen Spiel“ teilnehmen. Sie wehrt sich gegen diese Politik aber auch, weil der Präsident einen Fehler begeht: Statt seine Absichten zu erklären, findet die Außenpolitik in einer hermetisch abgeriegelten Sphäre statt.

Kann und will Russland sich von der Fixierung auf die USA lösen und Europa zuwenden?

Russland kann sich nicht dem Westen zuwenden, wenn das Verhältnis zu den USA schlecht ist. Wir müssen beide Kanäle gleichzeitig nutzen. Unsere Gesellschaft ist für Europa noch nicht reif. Wenn wir uns wirtschaftspolitisch an Europa orientierten, brächte das nichts ein. Die USA sind ökonomisch effektiver. Außerdem sind die USA für uns ein bequemerer Partner, der die lebenswichtigen Entscheidungen trifft und zu Hause immer noch ein höhere politische Dividende verspricht. Demgegenüber ist die EU überbürokratisiert und frisst mehr Energie, als sie nach außen abgibt. Außen- und verteidigungspolitisch taucht sie gar nicht auf. Im Moment brauchen die USA Russland sogar, weil Washington gegenüber Europa in die Isolation geraten ist und sich etwas entfremdet hat.

Was bedeutet das für das Verhältnis Russlands zu Europa?

Unsere europäischen Freunde wollen uns in ihre Händel mit den USA hineinziehen. Wir lehnen das ab. Wir haben Europa vor den Mongolen und Hitler gerettet, vor den USA muss es sich nun selbst schützen.

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