: Die Welt ist ein Flatscreen
Elektronische Spielzeuge jeder Größe und jeder Art beherrschen das Stadtbild von Tokio. In Japan muss die Technik nicht nur nützlich sein, wichtiger ist es, das neueste Modell zu besitzen
von VERENA DAUERER
Es kommt vor, wenn auch selten, dass hierzulande das Mobilnetz zusammenbricht. An Silvester etwa, oder lustigerweise am 1. Mai in Kreuzberg. Soweit lassen es die großen Netzbetreiber in Japan nicht kommen. Für die Fußball-WM hat der größte Anbieter NTT DoCoMo angekündigt, dass er zu den Hauptspielzeiten im Ballungszentrum Tokio und in den Gegenden rund um die Stadien seine Webdienste abspecken will (www.nttdocomo.com).
Weniger ist eben mehr. Immerhin wohnen im WM-Krisengebiet 30 Millionen Menschen, ebenso viele wie in Japan mittlerweile ein I-mode-Handy besitzen. Das gibt es dort bereits seit 1999 und für die, so möchte es das Klischee, technikbegeisterten Japaner ist das aufklappbare Gerät mit dem bunten Riesendisplay ein Spielzeug, das man haben muss. Zu welchem Preis auch immer. Vor allem, wenn seit Ende des letzten Jahres die neueste Ausführung eine Minikamera auf der Rückseite eingebaut hat. Mit der lassen sich briefmarkengroße Bildchen es-em-essen und e-mailen und jetzt auch kleine Quicktimefilme, um den Partybericht auf den aktuellen Stand zu bringen.
Java-Applikationen und 3-D-Grafiken beim Surfen sollen kein Problem mehr sein. Mit einer 64-MB-Memory Karte lässt sich auch das eine oder andere MP3-Liedchen speichern. Und als weiterer Schritt werden die nächsten Überhandys der neuen Generation, genannt 3 G, das weltweite Roamen einführen, da sie mit dem GSM-Netzwerk arbeiten und ebenso UMTS-fähig sind.
Tatsächlich scheint in Tokios Straßen fast jeder mit einem dieser schick silbernen Klappteile herumzulaufen, und zwar weniger um zu telefonieren. Dauer-SMS ist beliebter, was an den Gebühren liegen mag: der monatliche Grundpreis liegt bei 26 Euro, und abgerechnet wird wirklich nach Entfernung.
Eigentlich scheinen aber die Kosten niemanden zu kümmern, schließlich geht es um Trends, die über alle drüberschwappen. Und um das Haben-Wollen des heißesten Hightech-Schnickschnacks. Quatschen am Fon in der U-Bahn gilt als unschicklich, äußerst unhöflich und findet nur in Ausnahmefällen mauschelig unter vorgehaltener Hand statt. Als müsste man sich schämen, dass man der sowieso schon vom Overkill aus Lärm und Reklametafeln überforderten Umwelt noch mehr auf die Nerven geht – vorbildlich auch für ICE-Großraumwagen hierzulande.
In den Tokioter Plätzen und S-Bahn-Stationen haben die Mehrzahl der Handybenutzer ein freundliches Glockenspiel als Klingelton gewählt, kein aus dem Netz geladenes Billiggefiepe, sondern einen selbst aufgenommenen Wohlklang für die Ohren. Allerdings benutzen sie oft den Vibrationsalarm: Pendler stellen sich die Weckfunktion bis zu ihrer Station und pennen durch, das Fon fest umklammert. Das können sie auch im Stehen, wenn es voll ist, wie meistens, fallen sie nicht um.
Höflich in der U-Bahn
Doch alles, wofür das Handy gut ist, wird unwichtig, wenn es keine Öse hat, um jede Menge Schleifchen, Bändchen und Püppchen dranzuhängen. Denn wenn nix dran baumelt, ist es kein ordentliches Fon. Zur Rushhour mit einer Horde leicht vom Reiswein angetrunkener Anzugträger in den 50ern und ihren schaukelnden Batterien an Handytierchen in die Bahn gestopft zu werden, ist ein eher irritierendes als amüsantes Erlebnis.
Telefonieren geht aber auch prima in den öffentlichen Telefonzellen mit ISDN-Verbindung samt Anschluss, um den Laptop dranzustöpseln. Ich hab leider keinen Businessman gesehen, der auf diese Art surft. Aber wer weiß, vielleicht benutzen die schon alle das neue Funk-LAN. Denn Japaner scheinen sich mit einer Kombination aus lässiger Selbstverständlichkeit und kindlichem Spieltrieb auf Technikerrungenschaften zu stürzen, ohne ernsthaft nach dem Nutzen zu fragen. Zum eigenen Wohlergehen gehört unbedingt ein USB-Hub in Gestalt einer Hello-Kitty!-Mietzekatze aus Plastik. Elektronik gehört zum täglichen Leben wie die Computerkasse im 24-Stunden-Supermarkt, die einen schön großen Flatscreen aufgesetzt hat für Werbespots. Da guckt man verwundert drauf, wenn rechts unterm Clip der Preis angezeigt wird. Noch erstaunlicher ist es, wenn im Restaurant achselzuckend die Bedienung die Bestellungen über den Organizer aufnimmt.
Für einen Grobüberblick vom Stand der Technik reicht ein Abstecher in den Tokioter Stadtteil Akihabara, genannt „Electric City“. Wie überall in der Millionenstadt ist das Stadtbild zur Flatscreenlandschaft umgestaltet. Überall hängen sie, die platten Dinger, selbst im Kleinformat von der Decke, beispielsweise in der edlen Kaufhauskette Isetan. Für die nächste Generation von noch dünneren, noch leichteren LCD-Schirmen möchte Sharp ab Sommer extra ein eigenes Werk bauen. Passend fürs Heim gibt es den Screen platzsparend auf die Tatamimatte an die Wand gestellt.
Echte Plüschtiere
Die allerdings müssen noch mit den Konsolen Vorlieb nehmen, die haufenweise in jedem zweiten Elektronikshop herumliegen. Zumindest da können sie die neuesten Games umsonst ausreizen und haben kein Problem damit, den Nachmittag an der Außenwand eines Ladens stehend mit Spielen zu verbringen.
Oder sie gehen zum Sony Building im Designereinkaufsviertel Ginza. Am Eingang findet eine Promoaktion für das neue Aibo-Robotermodell statt, ein besonders knuffiger Pandabär mit schwarzweißem Plüschfell. Wie Sony gerade bekannt gegeben hat, soll er das neue Aushängeschild der Marke werden (www.aibo.com). Im Erdgeschoss des Towers ist das digitale Fernsehen angekommen. Matratzengroße Flatscreens, Plasmaschirme und Trinitrons an jeder Wand, die schon jeden Diaabend zum psychedelischen Trip aufmöbelten, wenn man sie nur zum Betrachten von Jpegs missbrauchte.
DVD sollte es aber schon sein: Selbst das Hausprodukt, der Vaio, hat als Desktop-PC einen leinwandbreiten Bildschirm zum Filmeschauen. Nebenan liegen die neuen DV-Kameras aus. Sie haben nette Touchscreens und senden ihre Daten per Bluetooth ans Handy oder mit der Memory-Karte in einen handlichen, aufklappbaren Videoanschauer.
Die Restaurantbedienung mit dem Organizer war nur der Anfang. Die nächste Stufe ist der persönliche Entertainment-Organizer, der Clié: Die Partyverwaltung mit Digitalkamera, MP3-Player, Tastatur und bequem drehbarem Bildschirm, um sich selbst beim Filmen anschauen zu können. Im nächsten Stockwerk wird der Net-MD-Walkman gezeigt, der aus dem Web geladene MP3-Files aufnehmen kann. Ganz oben ist die Playstation-Arena mit dem nächsten Level an superrealistischen 3-D-Grafiken – darunter ein Baseballgame für den japanischen Nationalsport und ein Fußballspiel mit authentischen Hooligans. Wer zum Daddeln unterwegs keinen Fernseher mitschleppen möchte, behilft sich mit der MiniStation PS one im Format einer Tupperware-Box mit aufdrehbarem Display. vdauerer@t-online.de
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