: „Eierwürfe schaden bloß“
Interview BERND PICKERTund PATRIK SCHWARZ
taz: Mr Nader, Sie sind im Wahlkampf 2000 gegen den jetzigen Präsidenten angetreten. Wer ist George W. Bush?
Ralph Nader: George W. Bush ist ein Konzern, der sich als Mensch verkleidet hat. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass er das in seinem Innersten auch zugibt. Er glaubt: Was gut ist fürs Big Business, ist gut für die Vereinigten Staaten – statt anders herum.
Haben Sie ihn jemals persönlich getroffen?
Nein. Ich kannte nur seinen Großvater Prescott Bush, der war Senator aus meinem Heimatstaat Connecticut. Er war ein Patrizier, aber einer, der was für die Leute getan hat. Für den galt noch der Grundsatz „Adel verpflichtet“.
Und, würden Sie gerne den Enkel treffen?
Ich bitte für gewöhnlich nicht um ein Gespräch. Wenn die andere Seite ein Treffen will – in Ordnung. Aber wenn sie nicht interessiert genug ist, um danach zu fragen, dann macht ein Treffen keinen Sinn.
Beim Berlin-Besuch von George Bush in dieser Woche wollen zehntausende Deutsche auf die Straße gehen. Ist es antiamerikanisch, wie Kritiker sagen, gegen den US-Präsidenten zu demonstrieren?
Es ist proamerikanisch. Ich hoffe natürlich sehr, dass diese Demonstrationen friedlich verlaufen, sonst entwerten sie sich selbst. Soweit ich weiß, richten sich die Proteste gegen bestimmte Militärstrategien, gegen den Druck auf die EU, genetisch veränderte Nahrungsmittel zuzulassen, gegen die Weigerung, vielen internationalen Verträgen beizutreten. Das ist natürlich nicht antiamerikanisch.
Wie effektiv sind europäische Anti-Bush-Demonstrationen in den USA?
Je friedlicher die Demonstrationen sind, umso größer ist ihr Einfluss in den Vereinigten Staaten. Eierwürfe schaden bloß. Sie reichen schon aus, dass sich die Amerikaner um ihren Präsidenten scharen, selbst wenn sie ihn nicht mögen.
Irgendwelche Ratschläge für die Demonstranten?
Die Transparente sind der Schlüssel. Sie müssen in Englisch sein und clever. Dann stürzen sich die amerikanischen Fotografen und Kameramänner nur so drauf. Am heikelsten ist es für Bush, wenn man ihn mit den großen Ölkonzernen in Verbindung bringt. Seit dem Enron-Finanzskandal ist er da besonders empfindlich. Und seit dem 11. September ist er an starke Kritik fast gar nicht mehr gewöhnt.
Sie selbst haben ein halbes Jahr nach der Wahl über den Präsidenten gesagt, seine Amtsführung sei nicht so schlimm, wie sie sein könnte. Gilt das nicht mehr?
Das bezog sich damals eher auf die Innenpolitik. Seit dem 11. September berauscht er sich am Krieg gegen den Terror. Für ihn ist das ein Schwarzweißthema, er muss sich nicht mit Grautönen befassen oder ernsthaft in ein Thema vertiefen, was in der Innenpolitik von ihm verlangt wird. Und seine Umfragewerte sind hervorragend.
Ihre Kritiker werfen Ihnen vor, Sie hätten nach dem 11. September mit einem Schreckensbild vor dem Krieg in Afghanistan gewarnt, das nicht eingetreten ist. Haben Sie übertrieben?
Schauen Sie, George Bush hat sich aufgeführt wie ein Sheriff aus West-Texas. Er hat losgelegt, ohne sich um das Völkerrecht zu scheren, obwohl dieses durchaus Möglichkeiten geboten hätte, die Hintermänner der Terroristen zu verfolgen. In Afghanistan hat er einen Heuhafen niedergebrannt, um ein paar Nadeln zu suchen – und er hat nicht mal die Nadeln gefunden.
Auch in Europa haben manche den USA ein zweites Vietnam prophezeit. Danach sieht es derzeit nicht aus.
Der Vergleich mit Vietnam setzt voraus, dass man vor Ort bleiben will. Doch genau das hatte Bush nie vor. Er schert sich nicht um Afghanistan. Ihm ging es nur um zwei Dinge: die Hintermänner des Terrors aufzuspüren und die Taliban loszuwerden. Warum? Die Taliban hatten sich Ende der 90er-Jahre bei Verhandlungen in Houston, Texas, geweigert, eine Ölpipeline von Zentralasien durch Afghanistan zu bauen. Das war ein wesentlicher Grund. Es ging Bush nie um die Menschen in Afghanistan.
Wenn Sie am 11. September Präsident der Vereinigten Staaten gewesen wären, wie hätten Sie auf die Anschläge reagiert?
Die Angriffe hätten nicht stattgefunden.
Wie bitte?
Seit 30 Jahren haben die Luftfahrtexperten in unserer Organisation darauf gedrungen, Flugzeuge sicherer gegen Entführungen zu machen. Dazu gehörte, die Türen zum Cockpit unpassierbar zu machen. Das allein hätte die Entführer daran gehindert, Passagiermaschinen in Raketen zu verwandeln. Doch diese Empfehlungen wurden abgelehnt – von der Flugzeugindustrie wie von der staatliche Flugaufsicht.
Terroranschläge sind aber nicht nur eine Frage der Technik. Was würden Sie gegen Terroristen unternehmen?
Würden wir uns an das Völkerrecht halten und eine multilaterale Truppe mobilisieren, stünden wir nicht allein da. Stattdessen sagen wir: Unsere Gewalt ist gut, eure Gewalt ist schlecht. Das trägt nicht gerade dazu bei, die Herrschaft des Rechts zu befördern.
Im Internet kursiert eine Vielzahl von Verschwörungstheorien zum 11. September – etwa dass die CIA an dem Anschlag beteiligt war. Jetzt hat die demokratische Kongressabgeordnete Cynthia McKinney einige der Fragen aufgegriffen. Haben Sie Zweifel an der offiziellen Darstellung der Ereignisse?
Ich halte nichts von den Verschwörungstheorien. Aber sie sind eine Folge von Bushs Reaktion auf das enorme Versagen der Geheimdienste. Niemand wurde abgemahnt, niemand gefeuert. Dabei waren die Dienste den Attentätern trotz eines Budgets von 30 Milliarden Dollar nicht auf die Schliche gekommen – obwohl die Terroristen bei der Vorbereitung der Anschläge über vier Jahre hinweg Spuren kreuz und quer in den USA hinterließen. Nach dem 11. September hat Bush nur noch mehr Geld für die Dienste verlangt, statt sich um die Aufklärung der Pannen zu bemühen.
Sie haben Ihren Wahlkampf gegen den Republikaner Bush und den Demokraten Al Gore mit der Aussage begründet, es mache keinen Unterschied, wer von beiden im Weißen Haus sitzt. Bereuen Sie das?
Warum sollte ich? Über den Anti-Terror-Krieg sagt Gore, der sei doch exzellent gelaufen und Bush sei auch sein Oberbefehlshaber. Gores „Running Mate“, sein Anwärter für die Vizepräsidentschaft, ist so sehr Falke, wie es ein Demokrat nur sein kann. Das Waffensystem, das Joe Lieberman nicht gefällt, muss erst noch erfunden werden.
Aber beim Umweltschutz hat Al Gore sich stets engagiert – muss da der Vergleich mit Bush nicht freundlicher ausfallen?
Wer aus dem Ausland auf Amerika blickt, lässt sich schnell von der Rhetorik täuschen. Die Demokraten, da gibt’s kein Vertun, sind besser im Reden. Aber wir schauen auf die Taten. Ganz wenige Leute in Europa wissen zum Beispiel, dass Bill Clinton große Teile des nördichen Alaska für die Industrie geöffnet hat – aber jeder hat mitbekommen, dass Bush die Ölförderung in Alaskas Naturschutzgebieten erlauben will. Sehen Sie den Unterschied?
Sie haben Ihre Strategie mal so beschrieben: Eine reaktionäre Regierung ist der beste Weg, den progressiven Kräften einzuheizen und sie aus ihrer Apathie zu reißen. Ist das nicht zynisch?
Nein, ich sage ja nicht, dass ich reaktionäre Politik einer fortschrittlichen vorziehe. Aber wenn ich mit einer rechten Regierung konfrontiert bin, frage ich mich als Campaigner: Will ich lieber einen Provokateur, der nichts für die Umwelt tut – oder einen Anästhesisten, der nichts für die Umwelt tut. Gore ist wie ein Anästhesist – er betäubt die Leute. Er ist ein Schlangenbeschwörer. Selbst die Umweltgruppen haben die Clinton/Gore-Regierung nicht kritisiert, sondern ließen sich auf den Sankt-Nimmerleins-Tag vertrösten. Die Biotech-Industrie, die Autoindustrie, die Pestizidhersteller – alle kamen ungeschoren davon in acht Jahren Clinton/Gore. Bush dagegen ist ein Provokateur.
Warum regt sich dann in den USA so wenig Widerspruch gegen Bushs Politik?
Zum einen waren die Anschläge von New York und Washington natürlich wirklich ein enormer Schock für das ganze Land. Zugleich beschwört Bush einen allgegenwärtigen Terrorismus herauf und nutzt ihn als Vorwand. Er hat zum Beispiel seinen autokratischen Justizminister John Ashcroft von der Leine gelassen, der unsere Bürgerrechte massiv eingeschränkt hat. Die Leute haben Angst, zu demonstrieren oder ihren Mund aufzumachen. Erst allmählich bekommt der Präsident Widerspruch zu spüren – und wenn der friedlich und gewaltfrei ist, dann kann George Bush davon noch was lernen.
Ehe Sie im Jahr 2000 für die Grünen antraten, galt die Partei als „Club der Baumküsser und Piercing-Fans“, schrieb das Rolling Stone Magazine. Was ist aus den amerikanischen Grünen geworden?
Die Beschreibung war ziemlich unfair. Grüne Parteien pflegen eben einen etwas anderen Stil, vor allem in der Anfangsphase. Aber wir sind inzwischen die drittgrößte Partei der USA und die am schnellsten wachsende. Im Wahlkampf hatten wir bei unseren Kundgebungen mehr Zulauf als die etablierten Parteien – und unsere Unterstützer haben sogar Eintritt gezahlt.
Sie holten 2000 knapp 4 Prozent der Stimmen. Ross Perot, der vier Jahre zuvor mit seiner Reformpartei bedeutend größeren Erfolg hatte, ist von der politischen Bühne wieder verschwunden. Warum sollte es Ihnen besser ergehen?
Es gibt kein Wahlystem auf der Welt, das kleine Parteien so sehr benachteiligt wie das amerikanische. Bis zu einem landesweiten Durchbruch wird es also schon drei, vier, fünf Wahlrunden dauern. Das Problem ist natürlich, dass die Leute ungeduldig werden, wenn es beim zweiten oder dritten Mal nicht klappt. Aber anders als im Fall von Ross Perot sind wir keine Ein-Thema-Partei.
Selbst frühere Unterstützer haben Ihnen vorgeworfen, Al Gore die entscheidenden Stimmen gestohlen zu haben. Sie halten sich offen, 2004 wieder anzutreten. Sind Sie George Bushs bester Wahlhelfer?
Stimmen gehören niemandem, außer den Wählern, die sie abgeben. Niemand hindert die Demokraten daran, fortschrittliche Politik zu machen. Es gibt also nur eine Person, die Al Gore um den Sieg gebracht hat: Al Gore.
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