: Behörden spielen nicht mit
Trotz Weisung der Innenverwaltung, Abschiebehaft zu vermeiden, sitzen noch immer viele Flüchtlinge im Knast. Diskussionsrunde fordert Senat auf, durchzugreifen
Eigentlich hätte die Zahl der Flüchtlinge, die in Berlin in Abschiebehaft sitzen, in den vorigen Monaten deutlich sinken müssen. Doch dem ist nicht so: Derzeit sind schätzungsweise 320 Menschen im Gefängnis. Nicht, weil ihnen Straftaten vorgeworfen werden, sondern um zu verhindern, dass die Flüchtlinge sich der Abschiebung entziehen könnten.
Im Januar begann zwar ein Modellprojekt zur Vermeidung des Abschiebegewahrsams, der von Menschenrechtsgruppen immer wieder scharf kritisiert wird, doch die entsprechende Weisung von Innensenator Erhart Körting (SPD) hat sich bisher kaum auf die Praxis der Berliner Ausländerbehörde ausgewirkt. Zu dieser Einschätzung kam am Mittwochabend eine Runde aus linken Parlamentariern, Gefängnisseelsorgern und Sprechern von Menschenrechts-Inititativen im Haus der Demokratie, die der Flüchtlingsrat und die „Initiative gegen Abschiebung“ zu einer Podiumsdiskussion eingeladen hatten.
„Durch mir bekannte Fälle habe ich den Eindruck, dass sich nichts geändert hat. Weiterhin sitzen auch Minderjährige in Abschiebehaft“, bedauerte etwa die PDS-Abgeordnete Karin Hopfmann. Die zuständigen Beamten seien bisher nicht bereit, ihre Handlungsspielräume zur Vermeidung der Haft einzusetzen.
„Ein Mentalitätswechsel in der Verwaltung muss her“, stimmte Thomas Kleineidam (SPD) zu. Und der bündnisgrüne Abgeordnete Volker Ratzmann mahnte an, es sei am Senat, den eigenen Beschluss auch in der Behörde durchzusetzen: „Da sich nichts geändert hat, muss ich die Frage stellen, ob der politische Wille zur Verbesserung der Situation tatsächlich da ist.“ Die Polizeistrategie beim ersten Mai habe gezeigt, meinte Ratzmann, dass die Beamtenschaft bei entsprechendem Druck durchaus in der Lage sei, ihr Verhalten zu ändern.
Im September hatte das Abgeordnetenhaus den Senat mit der Umsetzung des Modellprojekts beauftragt, das bis Juni läuft. Die Innensenatsverwaltung hatte das Konzept daraufhin allerdings stark abgeschwächt. Beispielsweise dürfen laut Senatsweisung nur Jugendliche unter 16 nicht mehr inhaftiert werden – die Abgeordneten hatten ein Alterslimit von 18 Jahren gefordert.
Gefängnisseelsorger Dieter Ziebarth bestätigte den unveränderten Alltag im Gefängnis: „Nur die jetzt nicht mehr in Beton eingelassenen Tische und die abschließbaren Fächer für die Häftlinge können als Verbesserungen bewertet werden.“ Laut Gerhard Leo von der „Initiative gegen Abschiebung“ sei es zudem auch in diesem Jahr wieder zu Misshandlungen von Flüchtlingen durch Beamte gekommen.
CHRISTOPH SCHULZE
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