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Landfrau in der Weltstadt

35 Bauernhöfe gibt es Berlin. Auf einem wirtschaftet Ute Sibronski. Dass Wirtschaftssenator Gysi einmal für sie zuständig sein würde, hätte sie in ihren kühnsten Träumen nicht für möglich gehalten

„Die Bäuerinnen hier haben Großstadt-touch, sie sind anders als die vom Dorf“

von CHRISTINE SCHMITT

Eine Lübarserin lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Mit einem strahlenden Lächeln kommt die stämmige blonde Landfrau über den Hof. Lacht, obwohl sie sich gerade ärgert. „Beim Senat für Wirtschaft haben sie keine Zeit, unsere Anträge auf Subventionen durchzusehen“, erklärt Ute Kühne-Sibronski. Doppelnachname. Eine selbstbewusste Bauerntochter. „Ute hat Temperament“, sagt Frank Sibronski über die Frau an seiner Seite und grinst. Der Bauer schenkt sich eine Tasse Kaffee ein und schmiert sich dazu eine Schrippe. Powerfrau, sagt er anerkennend. Sie sei eine Powerfrau. Ein Handy klingelt.

35 Bauernhöfe gibt es in der deutschen Hauptstadt. Absurd die Vorstellung, London oder Paris hätten noch Bauernhöfe. Aber bei Berlin ist das etwas anderes. Es passt. Ute kontrolliert mit einem Handgriff, ob ihre blonden Haare noch richtig hochgesteckt sind. Wenn die 42-Jährige über ihre Branche spricht, redet sie immer schneller und fängt schließlich an zu berlinern: In jüngster Zeit musste sie einige schlechte Neuigkeiten verkraften. Lübars wurde aus dem EU-Programm für benachteiligte Gebiete herausgenommen, der Berliner Senat hat das Geld für die Offenhaltung und Pflege der Privatwege in dem Landschaftsschutzgebiet ersatzlos gestrichen. Begründung: Die Spaziergänger wanderten jetzt lieber durch Brandenburg als durch Lübars. Etwa 30.000 Euro wurden bis dahin unter neun Landwirten in dem alten Dorf aufgeteilt. Geld, mit dem sie rechneten.

„Spaziergänger gibt’s hier doch immer noch viele“, sagt Ute Sibronski trotzig und schnell und zeigt auf die Wiesen, den schmalen Fluss und den Wald. „So eine Idylle habe ich vor meiner Haustür“, sagt sie und man weiß, jeder Widerspruch wäre unerhört.

Ihre Familie und die Hofstelle lassen sich bis ins 14. Jahrhundert zurückverfolgen. „Niemals will ich weg von dem Hof“, sagt Ute. Spandau, der Nachbarbezirk, ist ihr schon zu weit entfernt. Eigentlich hat sie Floristin gelernt, denn den Hof sollte ihre ältere Schwester bekommen. Doch die verliebte sich in einen Bauern aus Niedersachsen und wollte nicht mehr zurück. Als Ute 30 war, bekam sie den Hof. „Da waren wir sehr glücklich.“ Ihr Mann, ein gelernter Pferdebereiter, machte noch eine landwirtschaftliche Lehre, um den Aufgaben gewachsen zu sein.

Hufgeklapper tönt auf dem Kopfsteinpflaster. Vor der alten Scheune duftet es nach Pferdemist. Eine junge Frau mistet aus und leert die Schubkarre auf dem abgestellten Anhänger aus. „Wenn der voll ist, hole ich den Trecker und bringe den Mist aufs Feld“, sagt die Bäuerin, die die 40 Pensionspferde versorgt.

Richtiger Bauernhof mit Kühen und so ist der Hof schon lange nicht mehr. In den 70er-Jahren gab der Vater die Bullenmast auf und baute die Ställe zu Pferdeboxen um. Von dem sandigen Boden kann man heute nicht mehr leben. Landwirt in Berlin? Das heißt für die Sibronskis der Freizeitgesellschaft entgegenkommen. 90 Hektar Land mit Hafer bepflanzen, der verfüttert wird, mit Roggen, der das Stroh für die Einstreu liefert. Der Boden ist so sandig, sagt Ute, da kann man nicht viel machen.

„Die EU-Minister fordern: Weg von der Produktion, hin zur Dienstleistung. Und wir machen das mit unserer Pensionstierhaltung.“ Ute Sibronski ist eine pragmatische Frau. Mit einem herkömmlichen Bauernhof habe ihr Betrieb nicht mehr viel gemein, stellt sie sachlich fest. „Ich bin eben Dienstleister und ein günstiger Landschaftspfleger.“

Die Berliner Bauern seien aber ganz anders als die vom Land, dieser Unterschied ist Ute wichtig. „Die Bäuerinnen hier haben Großstadttouch, sie sind anders gekleidet und sind moderner als die vom Dorf.“ Ja, Ute Sibronski ist eine Großstadtbäuerin. Bei der Grünen Woche wird es ihr immer wieder klar: „Ich bin eine Landfrau in einer Weltstadt.“

Doch das ändert nichts daran, dass sie, wie die Frauen vom Land, siebenmal in der Woche um 5 Uhr aufstehen muss um zuerst die Tiere, dann den Mann und schließlich Sohn Boris zu versorgen. Wie die Frauen vom Land ist Ute Mitglied in der Frauen-Union, der Kirche und Vorsitzende im Landfrauenverein. Weltstadt Berlin? „Dass Gysi einmal als Wirtschaftssenator für uns Landwirte zuständig sein würde, hätte ich im kühnsten Traum nicht für möglich gehalten“, sagt sie stirnrunzelnd. Kino? Vor zwei Jahren das letzte Mal. Urlaub? Schon länger her. Theater? In den Wintermonaten mit ihrem Landfrauenverein mal, sagt sie seufzend. Ausflüge in eine fremde Welt. Sie denkt gleich weiter und ihre Stimme wird wieder etwas lauter. „Im Sommer ist es richtig anstrengend hier.“ Der Mist muss rausgefahren werden, das Heu geschnitten, gewendet, getrocknet und gepresst werden. „Wehe, wenn es zu regnen anfängt.“ Dann muss sie die schlechte Laune ihres Mannes ertragen. „Das tun alle Bauern. Den Frust bei ihren Frauen ablassen.“ Sie arbeitet draußen genauso hart wie er, aber das Essen muss pünktlich auf den Tisch. „Wehe, ich verspäte mich. Aber ich verzweifle nicht so schnell“, sagt Ute schnell. „Wir haben es doch gut.“

Ute Kühne-Sibronski bietet Führungen über ihren Hof und durch den alten Dorfkern Lübars zum Thema „Aus der Sicht einer Bäuerin“ an. Nächste Termine: 26. Mai, 15. Juni. Anmeldung unter Tel. (0 30) 4 02 53 95

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