: Von der hohen Kunst der Korruption
von MATTI LIESKE
Hohe Sportfunktionäre kann man nur an der Ausübung ihrer Ämter hindern, wenn man sie ins Gefängnis steckt oder ihnen Einreiseverbote erteilt. Das zeigt nicht nur die Geschichte des Internationalen Olympischen Komitees (IOC), sondern auch die des Weltfußballverbandes Fifa. Dessen Präsident Joseph Blatter befindet sich weiter auf freiem Fuß, obwohl ihn fünf seiner eigenen Vizepräsidenten in der Schweiz wegen Korruption angezeigt haben, und in Südkorea hat man ihn bereits ins Land gelassen. Damit steht der Wiederwahl Blatters durch die 199 stimmberechtigen Nationalverbände morgen beim Fifa-Kongress in Seoul eigentlich nichts mehr im Wege. Um Korruption und ähnliche Dinge haben sich die Herren des Fußballs schließlich noch nie sonderlich geschert.
Heute allerdings muss der 66-jährige Schweizer noch den letzten Sturm überstehen, wenn die Finanzlage des Verbandes, der durch die Konkurse seiner beiden wichtigsten Marketingpartner ISL/ISMM und KirchMedia kräftig ins Schlingern geraten ist, auf dem Programm steht. Blatters erbitterte Feinde um den Uefa-Präsidenten Lennart Johansson werden noch einmal versuchen, dem Fifa-Boss rechtswidrige Alleingänge, krumme Geschäfte, geschönte Zahlen und allgemeine Misswirtschaft nachzuweisen. Und wie üblich wird alles an Blatter abperlen, so wie zuvor die Rücktrittsforderung durch elf Mitglieder der 24-köpfigen Fifa-Exekutive und die gesammelten Anschuldigungen, die Fifa-Generalsekretär Michel Zen-Ruffinen Anfang des Monats vorgelegt hatte.
Seit der Schwede Johansson vor vier Jahren bei der Präsidentenwahl überraschend und unter mehr als dubiosen Umständen unterlag, führt er mit seiner europäischen Hausmacht einen beharrlichen Kleinkrieg gegen Blatter, steht jedoch gegen den gewieften Taktiker auf verlorenem Posten. Der „Machiavelli des Fußballs“ (das Schweizer Magazin Facts) weiß das System Fifa zu nutzen wie kein anderer, schließlich hat er es seit 27 Jahren mit aufgebaut. Hier verteilt Blatter ein bisschen Geld, schmiedet dort seine Allianzen und stützt sich vor allem auf eine Schar getreuer und einflussreicher Helfer, die sehr genau wissen, was sie an dem umtriebigen Schweizer haben. In der Fifa-Zentrale hat er sich einen eigenen Stab aufgebaut, der, ohne jemandem Rechenschaft abzulegen, am allerwenigsten Generalsekretätr Zen-Ruffinen, weit reichende Entscheidungen trifft. Zentrale Figur ist der zur Fifa zurückgekehrte Guido Tognoni, vor vier Jahren noch eifriger Parteigänger Johanssons. Damals pflegte er Blatter wegen dessen guter und einträglicher Beziehungen zu den arabischen Verbänden noch als „Yussuf“ zu titulieren. In der Fifa stützt sich der Präsident auf Leute wie den Argentinier Julio Grondona, den Brasilianer Ricardo Teixeira oder den Deutschen Gerhard Mayer-Vorfelder, pikanterweise alles Leute, gegen die in ihrem Heimatland staatsanwaltliche Ermittlungen laufen. Hinzu kommen Figuren wie Jack Warner aus Trinidad. Der ist Präsident des mittel- und nordamerikanischen Kontinentalverbandes Concacaf und in dieser Funktion vom armen Dorfschullehrer zum Millionär aufgestiegen, vor allem dank der Fernsehrechte von drei Weltmeisterschaften, die er für je einen Dollar bekam.
Wie in allen großen Sportverbänden sind in der Fifa Amt und Geschäft eng verbunden, und das Ganze funktioniert rigoros nach dem Eine-Hand-wäscht-die andere-Prinzip. So kann Blatter die 35 Concacaf-Stimmen getrost für sich einplanen. In die Bredouille kam er, als es kürzlich der Mexikaner Edgardo Codesal, Schiedsrichter des WM-Finales 1990, wagte, seine Kandidatur gegen Warner anzukündigen. Unter fadenscheinigen Vorwänden wurde er mit Billigung Blatters abgewiesen, erst heftige Proteste zwangen zum Einlenken. Die Aufregung war umsonst: Codesal bekam nur zwei Stimmen.
Zu den Helfern Blatters zählen jedoch nicht nur mächtige Funktionäre, sondern auch verdiente Fußballer wie Franz Beckenbauer, Michel Platini oder Pelé, die der Schweizer nach Kräften umschmeichelt und konsultiert. Tatsächlich hat Blatter in seiner Amtszeit einiges bewirkt. Da wäre die Vereinheitlichung des Fußballkalenders, der jetzt Länderspiele und große Turniere weltweit zu den selben Terminen vorsieht, was die Abstellung von Nationalspielern durch die Klubs vereinfacht. Dazu die kontinentale Rotation der WM-Turniere, die von den Europäern heftig angefeindet wird, weil sie dann bloß noch alle 16 Jahre dran sind. Nicht zu vergessen das neue Transfersystem. Als die EU-Kommission anmahnte, dass die bestehenden Regelungen nicht mit europäischem Arbeitsrecht vereinbar seien, reagierte die Uefa wie immer: Sie stellte sich tot, ging dann auf Konfrontationskurs und forderte schließlich eine Änderung der Gesetze. Blatter platzte mit einem Vorschlag in die stagnierende Debatte, der so radikal war, dass er die Uefa in schiere Hysterie trieb. Prompt nahm er ihn zurück – eine seiner alten Taktiken – doch der Vorstoß ebnete den Weg für eine Neuregelung der Transfers mit einem begrenzten Kündigungsrecht. All diese Reformen kommen vorwiegend den Nichteuropäern zupass, was auch für das Hilfsprogramm „Goal“ gilt. Damit unterstützt die Fifa den Fußball in armen Mitgliedsländern, was eine ehrenwerte Sache ist, es andererseits dem Präsidenten ermöglicht, nach Gutdünken üppige Geldbeträge an Funktionäre kleiner Verbände, sprich: Stimmvieh, zu verteilen.
Ob Blatters einziger Gegenkandidat Issa Hayatou den Europäern bei ihrem Versuch, den Fußball wieder in den Griff zu bekommen, eine große Hilfe sein kann, ist mehr als fraglich. Der 55-jährige Sportlehrer aus Kamerun ist ein sterbenslangweiliger Redner, sein Programm ist praktisch inexistent und Prognosen zufolge wird der Präsident des afrikanischen Verbandes selbst von den afrikanischen Stimmen nicht mal die Hälfte bekommen. „Er hat keine Chance“, sagt Franz Beckenbauer, skeptischer gibt sich Joseph Blatter: „Die Präsidentenwahl ist wie ein Fußballspiel.“ Und genau bei einem solchen war Issa Hayatou 1998 in Frankreich von den Kameras auf der Ehrentribüne im Tiefschlaf ertappt worden.
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